Genürsel 2013 – 46/52 – Verlust

Genürsel 2013 - 46/52 - Verlust

Es macht mich verrückt. Es macht mich wirklich verrückt. Ich habe meine Kreditkarte verloren und ihr Verlust macht mich verrückt. Fast schon wahnsinnig. Dabei handelt es sich eigentlich gar nicht um einen richtigen Verlust. Warum ist das Leben so kompliziert? Warum mache ich das Leben so kompliziert? Vermutlich sollte ich mir mein Versagen einfach eingestehen und eine neue Kreditkarte beantragen. Aber ich brauche sie ja eigentlich gar nicht. Ich habe mir die wichtigen auf ihr vermerkten Daten ja aufgeschrieben. Die Karte an sich brauche ich gar nicht. Also doch den Verlust ignorieren? Oder stattdessen von vorne beginnen und meinen Lesern alles erzählen? Na gut. Es muss sein. Vielleicht hilft es. Das sagt man doch so. “Vielleicht hilft es.”, sagt der Perverse, kurz bevor er sich seinen Penis von einem Staubsauger absäbeln lässt.

Vor einiger Zeit kaufte ich etwas im “Playstation Network”, das mittlerweile “Sony Entertainment Network” heißt, weil heutzutage alle taub sind die Schüsse nicht mehr hören. Ob das jetzt stimmt, sollen übrigens andere entscheiden. Aber die Philosophie hinter Namenswechseln ist wohl eher ein Thema für Social Media Experten, die bekanntlich sonst nichts zu tun haben. Jedenfalls kaufte ich mir irgendetwas. Was es war, spielt keine Rolle, sondern ich. Wichtig ist, dass ich für den Kauf meine Kreditkarte benötigte. Diese deponiere ich immer an einer ganz bestimmten Stelle in der Wohnung, damit ich jederzeit weiß, wo ich sie abgelegt habe. Nein, dieser Ort ist kein Versteck, um sie vor Diebstahl zu schützen. Wenn jemand in meine Wohnung einbricht und meine Kreditkarte klaut, dann wäre das wohl mein kleinstes Problem. Die Legendarys meiner “Skylanders”-Sammlung? Ich wäre des Todes.

Ich holte also meine Kreditkarte, gab meine Daten an Sony weiter, lachte über mein blindes Vertrauen, bestätigte alles und besaß neue elektronische Unterhaltung. Vor Freude machte ich mich gleich über sie her und legte die Kreditkarte neben mir ab. Da ich aufräumen hasse, blieb die Karte ein paar Tage lang an genau dieser Stelle liegen. Ich wusste, dass sie dort war, war aber zu faul, sie an die Stelle zu legen, an der sie sich ein kleines Häuschen errichtet hatte. Gemein, ich weiß, aber keine Sorge: Ich bin deutlich fauler als gemein. Ich wollte die Karte nicht ärgern, sondern mich nicht mehr bewegen als nötig. Aufräumen? Niemals.

Dann bekam ich eines Tages Besuch. Besuch wird in der Regel immer ins Wohnzimmer geleitet und dort abgegeben, bis die Erwachsenen ihn wiederhaben möchten. Im Wohnzimmer befinden sich zwar keine mit bunten Bällen gefüllten Kisten, dafür aber Chipstüten unter dem Wohnzimmertisch. Normalerweise reicht das meinem Besuch, um ein paar Stunden lang über die Runden zu kommen. Bevor ich Besuch empfange, räume ich aber immer ein wenig das Wohnzimmer auf. Ich nehme also alle möglichen Dinge in die Hand, die an Stellen liegen, an denen sie eigentlich nichts zu suchen haben, und deponiere sie an anderen Stellen. Und damit wären wir bei meiner Kreditkarte.

Irgendwie wollte ich meine Kreditkarte nicht offen auf dem Wohnzimmertisch liegenlassen. Das erschien mir unangebracht. Also hob ich sie auf und brachte sie nicht dorthin, wo sie hingehörte, sondern irgendwo anders hin. Warum? Weil ich das manchmal so mache. “Ach, ich verstecke die Karte jetzt erst einmal hier drüben. Da stört sie niemanden und wenn der Besuch weg ist, lege ich sie an die Stelle, an die sie eigentlich gehört. Ich werde schon nicht vergessen, wo sie liegt.”

Tja. Ich habe vergessen, wo ich meine Kreditkarte hingelegt habe. Einfach so. Nachdem der Besuch wieder aus dem Kinderparadies abgeholt worden war, hatte ich meine Kreditkarte längst wieder vergessen. Ich dachte erst wieder an sie, als ich sie brauchte, um etwas mit ihr zu kaufen. Und genau in diesem Moment erinnerte ich mich wieder an meine Besuchergeschichte. An meine oben beschriebenen Gedanken. Und ich verfluchte mich. “Ich werde schon nicht vergessen, wo sie liegt.” Aus dem Gehirn eines Menschen, der beim Betreten der Küche schon wieder vergessen hat, warum er sie überhaupt betreten hat, klingen diese Gedanken ziemlich naiv.

Ich habe bereits alle möglichen Orte meiner Wohnung auf den Kopf gestellt. Vieles kam mir entgegen, nichts davon sah aus wie eine Kreditkarte. Ich habe meine Kreditkarte verloren. In meiner Wohnung. Und ich denke darüber nach, mich geschlagenzugeben und den Verlust hinzunehmen. Dann muss ich bei der Kreditkartenfirma anrufen und eine neue beantragen. Als Grund gebe ich “Verlust” an. Dass dieser in meiner Wohnung stattfand, werde ich aber vermutlich verschweigen. Oder auch nicht. Manchmal muss man auch einfach mal mit Fremden über die eigene Blödheit lachen.

Einen Vorteil hätte die Beantragung einer neuen Kreditkarte ja: Ich würde direkt im Anschluss an das Telefonat meine verlorengeglaubte Karte wiederfinden.

Genürsel 2013 - 46/52 - Verlust

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert