Genürsel 2013 – 38/52 – Stadt

Genürsel 2013 - 38/52 - Stadt

“Und? Ist Frankfurt eine schöne Stadt? Warum weinst du? Ist das Spucke an deinem Mundwinkel? Nein, warte, sieht eher aus wie Eiter. Das ist aber eklig. Igitt. Ist das normal als Frankfurter?”

Ich bin kein Frankfurter. Glaube ich. Ich weiß es nicht. Wann ist man Frankfurter? Ich lebe nun seit acht Jahren in dieser Stadt, sehe mich aber nicht als das an, was man meint, wenn man jemanden als “Frankfurter” bezeichnet. Nein, ich meine nicht die Würstchen. Natürlich bin ich kein Würstchen. Im wörtlichen Sinne. Manche würden mich vielleicht ein armes Würstchen nennen, aber das hat nun auch wieder nichts mit Frankfurt oder Städten zu tun, sondern mit Beleidigungen.

Vermutlich bin ich Frankfurter. Ja. Ich lebe hier schließlich. Aber ich verbinde nichts damit. Kein Lebensgefühl. Keinen Patriotismus. Keinen Stolz. Es ist ein Fakt: Ich bin Frankfurter. Würde mich nun ein Patriot fragen, ob ich Frankfurter bin, könnte ich wahrscheinlich mit “Ja.” antworten, wenn ich ein “Aber kein gebürtiger.” anhänge. Schon entsteht ein Gespräch über meinen Geburtsort. Lüdenscheid. Bin ich Lüdenscheider? Diese Frage kann ich auch nicht beantworten. Nicht mehr. Wäre ich nie aus Lüdenscheid weggezogen, würde ich die Frage einschubslos mit “Ja.” beantworten. Ohne mir dabei etwas zu denken.

Ich glaube, ich bin sowohl Lüdenscheider als auch Frankfurter. In Lüdenscheid habe ich 21 Jahre gelebt, in Frankfurt acht. Hier liegt Lüdenscheid eindeutig vorne. Es hat außerdem den Geburtsortvorteil. Heimvorteil nennt man das glaube ich beim Fußball. Wobei das im Sport eher positiv gemeint ist. An Lüdenscheid habe ich nicht viele positive Erinnerungen. Das meine ich nicht unbedingt auf die Lüdenscheider Bevölkerung bezogen. Die mag ich größtenteils. Meine Familie lebt in Lüdenscheid. Und alte Schulfreunde. Ansonsten kenne ich nicht viele Lüdenscheider. Eine gewisse Abneigung behalte ich mir vor. Die Lüdenscheider Nazis waren immer ziemlich ungeil. Aber es geht heute ja nicht um die Menschen, sondern die Stadt. Und Lüdenscheid ist nun nicht gerade eine Stadt, die ich positiv in Erinnerung habe. Viele fragwürdige Umbaumaßnahmen hat es dort gegeben. Gut, die gibt es hier in Frankfurt auch. Aber Lüdenscheid ist kleiner. Da bekommt man das eher mit. Wie auch immer.

Lüdenscheid ist keine schöne Stadt. Frankfurt auch nicht. Ja, jede Stadt hat ihre schönen Bereiche. Aber auch ihre hässlichen. Die will ich nicht ignorieren. Darum ist Altena zum Beispiel auch keine schöne Stadt. Altena hat eine Burg, die auf einem Berg steht. Das Innere dieses Bergs wurde neulich gesprengt. Man will einen Aufzug bauen, damit gehbehinderte Leute die Burg erreichen können. Aber das ist alles gar nicht so wichtig. Viel wichtiger ist die Unterführung am Altenaer Bahnhof. Die stinkt nach Urin. Immer. Sie hat nie nicht nach Urin gerochen. Ich habe sie in meinem Leben schon oft durchschritten. Nie war meine Nase froh darüber. Darum ist Altena, trotz der eigentlich schönen Burgatmosphäre, keine schöne Stadt. Wobei… ist “schön” nicht etwas, was man über die Augen und nicht über die Nase definiert? Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Aber glauben ist nicht pissen. Darum betet auch niemand in der Altenaer Bahnhofsunterführung. Es wäre nutzlos. Nicht einmal Gott würde dort noch frische Luft erschaffen. Die Zeile “Und er roch, dass es gut war.” wird man bezogen auf die Altenaer Bahnhofsunterführung niemals in einer Bibel finden.

Also. Schöne Städte. Kenne ich keine. Schöne Stadtteile? Schon eher. Hier in Frankfurt gibt es ein paar schöne Orte. Um die Nidda herum zum Beispiel ist Natur. Und Natur finde ich fast grundsätzlich schön. Vor allem natürliche Natur. Unnatürlich von Menschenhand geplante und angelegte Natur ist nicht immer toll. Parkanlagen sind zum Beispiel angenehm, wenn man eine “Ich muss unbedingt mal kurz an die frische Luft und mich der Illusion hingeben, ein naturverbundener Mensch zu sein.”-Phase durchlebt. Dann kann man sich schnell in einen Park begeben, unter einen Baum setzen und sich vorstellen, dies immer zu tun und davon seinen Freunden zu erzählen, die daraufhin gefälligst begeistert und beeindruckt sein sollen. Ansonsten sind Parkanlagen aber nicht so schön.

Das Schöne an der Stadt Frankfurt sind für mich also die Orte, die nichts mit Stadt zu tun haben. Das, worum die Stadt gebaut wurde. Da ist dieser Baum, den wollte man nicht abholzen. Darum hat man einfach die Stadt drumherum gebaut. Dieser Baum ist schön. Dieser Teil Frankfurts ist schön. Die Zeil? Die ist nicht schön. Da kann man noch so viele Minibäumchen in einen Steinboden stecken und daneben Löcher in Glasfassaden kloppen. Das ist nicht schön. Interessant anzusehen vielleicht. Aber schön? Nein.

Die Verbundenheit mit einer Stadt habe ich noch nie nachvollziehen können. Genauso wenig wie zu einem Land. Ich bin nicht froh, Deutscher zu sein. Ja, mir geht es hier gut. Aber darauf bin ich nicht stolz. Wer bin ich denn? Ich bin auch kein Frankfurter oder Hesse oder Lüdenscheider oder NRWler. Einmal standen neben mir in einem Zug ein paar Radfahrer. Wir fuhren von Altena nach Siegen. Einer von ihnen war am Telefonieren und musste sich schnell eine Nummer notieren, die derjenige an der anderen Leitung ihm durchgeben wollte. Er hatte nichts zu schreiben dabei. Seine Bekannten auch nicht. Ich hatte das mitbekommen, da es sich geschätzte zwei Meter von meinen Ohren entfernt abspielte. Also riss ich eine Seite aus meinem immer mitgeführten Notizbuch heraus und gab sie dem Telefonierer. Mitsamt Stift. Er war erstaunt, griff zu und schrieb. Nach dem Telefonat bedankte er sich. Eine seiner Begleiterinnen sagte: “So sind die Westfalen.” Ich grinste und nickte. Was hätte ich auch sonst sagen sollen? “Nun, wissen sie. Eigentlich bin ich kein Westfale. Also irgendwie natürlich schon. Ich bin hier aufgewachsen. Aber mittlerweile lebe ich in Hessen. Darum bin ich Hesse.” Gut, dass ich das nicht gesagt habe! Nachher hätte man noch behauptet, dass meine Genwurzeln ja in NRW liegen. Ich also meine Westfalen-Höflichkeit mit nach Hessen genommen habe. Puh, hätte ich mich erschossen. Mehrfach! Glück gehabt.

Hätte die Dame “So sind die Hessen.” gesagt, hätte ich vermutlich nach acht Jahren die Hessenfreundlichkeit übernommen. Oder so. Ich weiß ja auch nicht. Natürlich sollte man solche Aussagen nie zu ernst nehmen. Das war vermutlich nur ein Spaß. Aber irgendwie käme ich nie auf die Idee, einen solchen Spaß zu machen. Glaube ich. Oder? Ich weiß es nicht. Vermutlich schon. Aber nur aus Spaß. Hilfe! Was ich eigentlich sagen will: Es gibt keine schönen Städte. Außer, jemand hat eine Stadt auf einer einsamen Insel gegründet, ohne Häuser zu errichten und Menschen hinzulassen. Ist das dann überhaupt eine Stadt? Müssen in einer Stadt nicht Menschen leben? Vermutlich. Gut. Dann lege ich mich fest. Es gibt keine schönen Städte.

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