Als Mark den Waldausflug geplant hatte, hätte er niemals zu träumen gewagt, dass er ein solcher Erfolg werden würde. Zunächst hatte er überhaupt keine Lust darauf gehabt, seine drei Kinder und seine Ehefrau ins Auto zu verfrachten und mit ihnen in den nahegelegenen Wald zu fahren. Er hasste diese Familienausflüge. Nicht unbedingt, weil er seine Familie hasste, aber ein bisschen war genau das dann doch der Grund. Wie es dazu kam, dass Mark seine Familie zu hassen begann, ist eine lange Geschichte, die an dieser Stelle nicht erzählt werden sollte, da die Notizzettel, auf denen ich sie vermerkt hatte, als Toilettenpapier dienen mussten, als kein Toilettenpapier mehr im Haus war. Das ist übrigens irgendwie falsch wiedergegeben. Ich schrieb die Notizen ursprünglich auf Toilettenpapier, als ich auf einer Toilette saß und mein Notizbuch nicht, dafür aber einen Stift dabei hatte. Ich nutze also das Toilettenpapier als Notizzettel und diese daraufhin wieder als Toilettenpapier. Markus, der eigentlich Mark hieß, aber häufig ein Opfer dieser Namensverwechslung wurde, hatte von all diesen Dingen selbstverständlich keine Ahnung, schließlich war er lediglich ein Charakter in der Geschichte, deren Ursprünge ich mir eines Tages zwischen die Pobacken steckte.
Selbst wenn Mark all das gewusst hätte, so hätte er gerade gar nicht daran gedacht. Seine jüngste Tochter war während eines Wettlaufs, den sie sowieso nie gewonnen hätte (Kinder gewinnen lassen war nicht Marks Art), in eine Bärenfalle getreten. Nun hatte sie ihr linkes Bein verloren. Im Mittelalter war Links immer die Richtung, in der eine schlechte Entscheidung lag, weshalb Mark ob der Ironie ein bisschen lachen musste. Er ließ sich die Freude, die er gerade verspürte, natürlich nicht anmerken, schließlich blutete seine Tochter wie ein Mensch, der sein Bein in einer Bärenfalle verloren hatte.
Mark hob seine Tochter vom Boden auf und stellte dabei kurzerhand fest, dass er sie mit der Bärenfalle und dem abgetrennten Bein verwechselt hatte. Er warf Falle und Bein wieder zu Boden, schnappte sich seine Tochter und beruhigte seine kreischende Frau mit einem Witz. Leider hatte er die Pointe vergessen, wodurch seine Frau am Ende nicht lachte, sondern ihn schockiert ansah. Er entschuldigte sich für sein Missgeschick und schlug vor, die Picknickdecke auszubreiten, um erst einmal einen Happen zu essen. Essen würde allen Anwesenden gut tun und die gereizte Stimmung etwas beruhigen. Warum hatte er eigentlich nicht das Bein als seine Tochter definiert, sondern den restlichen Teil des Körpers? War das eine Mehrheitsentscheidung gewesen? Mehr Körper gleich Tochter? Das Bein war gerade ruhiger und Mark darum eigentlich als Familienmitglied lieber.
Seine Frau war übrigens gegen den geäußerten Essensplan. Wie immer. Seine Frau war gegen alles. Genauso wie seine beiden Söhnen. Die waren auch ziemlich anstrengend. Seit der Geschichte mit der Bärenfalle und dem Bein waren sie am weinen. Durchgängig. Die ganze Zeit. Und es hörte nicht auf. Im Weinen waren sie schon immer gut.
Um sie von ihrer Trauer zu erlösen, drückte Mark den zwei sechs Jahre alten Zwillingen die Bärenfalle in die Hand und sagte ihnen, sie sollten gut darauf aufpassen. Man musste Kindern in Notfällen immer einreden, alles sei nur ein Spiel. Und ihnen etwas geben, worauf sie aufpassen konnten. Beschützerinstinkte wecken. Dann würden sie sich nicht nur beruhigen, sondern auch etwas fürs Leben lernen.
Mark lernte in diesem Moment ebenfalls etwas fürs Leben. Er lernte, dass man eine Bärenfalle nicht wieder neu spannen sollte, wenn man sie zwei kleinen Kindern in die Hand drückt. Kurz stellte er sich vor, wie er seine Beiden Söhne an den auf der jeweils gegenüberliegenden Körperseite abgetrennten Unterarmüberresten zusammennähte und als “Der Doppelte Mensch” an einen Zirkus verkaufte. Doch schnell verabschiedete er sich wieder von der Idee. Zirkusse, die deformierte Menschen zur Schau stellten, gab es ja gar nicht mehr. Zumindest nicht hier in Frankfurt.
Langsam hatte Markus den Spaß an diesem von Gekreische und Geweine erfüllten Waldausflug und seinem fehleranfälligen Namen verloren. Er verabschiedete sich von beidem, ließ Frau und Kinder im Wald zurück und wollte von nun an Sven genannt werden.
Mit diesen Gedanken rannte Sven zurück zu seinem Auto, startete es und fuhr so schnell er nur konnte über die ihm hinterhereilenden Familienmitglieder. Die Präzision, mit der er hier vorging, überraschte ihn und er beschloss, Monstertruck-Fahrer zu werden. Ja, mit diesem Gedanken konnte Jens sich anfreunden. Mit seinem neuen Namen dagegen nicht.