Genürsel 2013 – 28/52 – Verpackung

Genürsel 2013 - 28/52 - Verpackung

Eines Tages betrat ich eine Geburtstagsfeier und wurde prompt auf meinen Pullover angesprochen. Leider nicht, weil er schön war, sondern weil ich genau diesen Pullover vor etwa einem halben Jahr auf einer anderen Geburtstagsfeier getragen hatte, auf der die sich über ihn aufregende Person ebenfalls anwesend gewesen war. Ja, man regte sich über diesen Umstand auf. “Hast du denn keine anderen Klamotten?” Tja. Was erwidert man auf eine solche Frage? Was, außer Verwunderung?

Es gab in meinem Leben eine Zeit, da habe ich auf die Verpackung meines Körpers geachtet. In meiner Kindheit. Da trug man BAD+MAD, weil man toll sein wollte. Auf BAD+MAD-Klamotten waren böse guckende Cartoonskater und -sprayer abgebildet. Das war mindestens so gut wie Rucksäcke von Eastpack. Ich kenne jemanden, der damals ausgelacht wurde, weil er sich einen neuen Rucksack gekauft hatte, der nicht von Eastpack war. Rückblickend war das jetzt irgendwie keine schöne Zeit. Aber hey, Kinder. Die sind so.

Irgendwann änderte ich dann meinen Stil und trug meine Hosen tiefer als der Durchschnitt der Menschheit. Warum? Weil das alle Menschen so machten, zu denen ich in irgendeiner Form aufschaute. Ob ich zu ihnen aufschaute, um ihnen nicht auf das durch die Unterhose schimmernde Gemächt zu starren, weiß ich nicht mehr, aber irgendwie orientiert man sich modisch ja immer an Leuten, zu denen man aufschaut.

Natürlich verstanden nicht alle Menschen um mich herum, warum ich meine Hosen nicht den Hosenboden erreichen ließ, sondern eher den Fußboden. Ich erntete sogar Spott. Dies war der Moment, an dem ich mich schnell in die falsche Denkrichtung hätte entwickeln können, wenn meine Antwort folgendermaßen ausgefallen wäre: “Was tragt ihr selbst denn Blödes? Geht doch einfach mal mit der Zeit! Wie unangesagt ihr seid. Und wie wenig Ahnung ihr von der Welt habt. Ich widert mich an!” Ich erkannte aber, dass es wichtigere Dinge gibt, als sich über die Kleidung anderer Menschen aufzuregen. Spaßhaben zum Beispiel. Oder Zufriedenheit. Oder Aufgeschlossenheit. Wenn ich heute Jugendliche sehe, die ihre Kappen nicht richtig auf dem Kopf tragen, sondern sie so eng zuschnüren, dass sie eher auf dem Kopf liegen, als die Stirn zu umschließen, dann akzeptiere ich das.

Aber ich muss zugeben, dass es bis dahin ein weiter weg war. Zunächst kam damals in mir doch die “Warum”-Frage auf. Ich machte mich sogar über diese Jugendlichen lustig. Bis ich dann irgendwann an die Hosentragweise meines Jugend-Ichs denken musste. So hatten sich also die über mich lachenden Menschen gefühlt. Ich wurde wegen tiefen Hosen ausgelacht und was habe ich daraus gelernt? Dass man über komisch getragene Kappen lachen darf, weil das was ganz anderes ist? Nein. Das wollte ich nicht gelten lassen und so zwang ich mich innerlich, die Kappenmode zu akzeptieren. Kamen böse Gedanken auf, riss ich mir mein Gehirn aus dem Schädel und setzte es auf die Straftreppe. Nach einer Stunde steckte ich es zurück und fragte es, ob es etwas daraus gelernt hatte. Erst zeigte sich keine Besserung. Aber nach einiger Zeit lachte es immer seltener. Bis der Tag gekommen war, an dem es die Kappenmode akzeptierte. Genauso wie alle anderen Moden.

Was geht mich die Verpackung meiner Mitmenschen an? Ich mag kein Pink. Trägt jemand Pink, dann ist das aber seine Entscheidung und nicht meine. Ich habe damit nichts zu tun. Natürlich muss ich eine vollkommen in Pink gekleidete Person nicht schön finden. Aber muss ich mich über sie lustig machen? Ihre Farbwahl korrigieren? Es besser wissen? Wollen, dass sie sich meiner Modevorstellung anpasst? Sie mit neutraleren Farben bemalen? Nein, das muss ich nicht. Pink ist auch nur eine Farbe. Eine sehr grelle Farbe. Die ich nicht mag. Die ich nicht mögen muss. Aber die jeder tragen darf, der es will. Genauso wie schwarze Leggins. Oder kurze Röcke. Oder Endlosschals im Sommer. Ist doch alles egal. Manch einer wird vielleicht überrascht sein, wie gut man sich mit jemandem unterhalten kann, auch wenn man modisch vollkommen aneinander vorbeilebt.

Zurück zu meinem Pullover. Das wird mir hier zu moralisch und besserwisserisch. Wer will schon Dinge dieser Art lesen. Man denkt ja genauso. Und verhält sich auch so. Und wenn nicht, dann ist das nur Spaß. Man muss ja nicht immer alles so ernst nehmen. Also, zur wichtigsten Frage des heutigen Tages: Warum habe ich diesen einen Pullover zu besagtem Geburtstag angezogen? Weil er in meinem Schrank auf dem Pulloverhaufen ganz oben lag. Und jetzt kommt das Verrückte: Anscheinend ist dies ein halbes Jahr zuvor schon einmal der Fall gewesen. Verrückte Welt. Wie hoch ist da die Wahrscheinlichkeit? Ich besitze geschätzt fünf Pullover und wechsle sie sogar in regelmäßigen Abständen. Dass man da innerhalb eines halben Jahres zweimal den gleichen trägt ist doch…

Moment…

Wer zum Teufel erinnert sich eigentlich daran, was für einen Pullover ein anderer Mensch ein halbes Jahr zuvor auf einem Geburtstag getragen hat? Muss man dazu irgendwelche Akten anlegen? Buch führen? Was für ein Stress. Ich weiß doch noch nicht einmal, wie meine eigene Verpackung vor einer Woche ausgesehen hatte.

Genürsel 2013 - 28/52 - Verpackung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert