Genürsel 2013 – 14/52 – Pause

Genürsel 2013 - 14/52 - Pause

Es ist wirklich Zeit für eine Pause. Nicht im Sinne von “Ich mache ab jetzt nichts mehr”. Ich pausiere lediglich das “Ich lasse mich daran erinnern, noch etwas machen zu müssen”. Ich komme nämlich mit dem daraus resultierenden Stress nicht klar. Wer kann sich ernsthaft wohlfühlen, wenn er stets vor Augen geführt bekommt, was er noch alles zu tun hat? Ich nicht. Natürlich sterbe ich nicht sofort an Überlastung, wenn jemand sagt: “Du musst noch die Wäsche aufhängen.” Geschieht dies aber stündlich, dann endet das in ungewolltem Stress und Unwohlbefinden. Und einem zugeklebtem Mund.

Früher hatte ich eine ziemlich komplizierte Methode, mich an Zeug zu erinnern. Ich trage seit Jahren immer ein Notizbuch mit mir herum. Dieses hatte ich nun in eine sogenannte To-Do-Liste umfunktioniert. Vorne schrieb ich ganz normal meine Notizen rein. Drehte ich es jedoch um und blätterte von hinten nach vorne, kam eine Liste zum Vorschein, die mir zeigte, was noch zu erledigen war. Das war noch nicht alles. Da ich mich zum Erledigen all der Sachen zwingen wollte, entwickelte ich ein Punktesystem. Eine erledigte Aufgabe brachte mir einen Punkt ein. Ab einer bestimmten Punktzahl stieg ich eine Stufe auf und bekam einen bestimmten Geldbetrag auf ein ausgedachtes Konto. Von dem Geld konnte ich mir dann Zeug kaufen. Nun gab es noch die Möglichkeit, durch unerledigte Aufgaben Minuspunkte zu bekommen und viele andere Dinge, die ich hier jetzt nicht zu detailliert aufzählen möchte. Über einen ziemlich langen Zeitraum hatte das System jedenfalls funktioniert. Ich beendete Aufgaben und kaufte mir schlechte Filme von dem erarbeiteten Geld.

Dann war aber irgendwann mein Notizbuch voll und ich kaufte mir ein neues. Dieses hatte keine karierten, sondern weiße Seiten. Eine Liste der oben beschriebenen Art darin zu führen, war ziemlich umständlich. Darum verlegte ich das ganze System auf in einer Tabellenkalkulation gestaltete DIN-A4-Zettel. Diese druckte ich aus und legte sie auf meinen Schreibtisch. Auch hier schien zunächst alles zu funktionieren. Aber irgendwann verlor ich den Spaß an meinem Listensystem. Ich merkte, dass ich durch dieses System nicht mehr machte als vorher. Ich hatte sogar mehr Arbeit damit, weil ich immer alles notieren und ausrechnen musste. Nach einiger Zeit ließ ich die Zettel dann verstauben. Ich machte trotzdem genauso viel wie vorher. Was bedeutet: Nicht alles, aber immerhin einiges.

Dann bekam ich ein Smartphone geschenkt. Wenn man sich auf dem “To-Do-Apps”-Markt umsieht, wird man vom Angebot förmlich erschlagen. Es ist der pure Wahnsinn, was hier als Produktivitätshilfen angeboten wird. Und Woche für Woche wird es mehr. Es hört einfach nicht auf. Und ich wurde neugierig.

Mein erstes Produktivitätsprogramm (Ist doch ein toller Name, was habt ihr?) ließ mich mehrere Listen für unterschiedliche Kategorien erstellen. “Haushalt”, “Arbeit”, “Zeug” und so weiter. Alles wurde eingetragen und zugeordnet. Dann klingelte einmal am Tag mein Handy, um mich an die heute fälligen Dinge zu erinnern. Und an die überfälligen. Ich las die Benachrichtigungen und lebte mein Leben genauso weiter wie zuvor. Tag für Tag. “Piep, piep.” “Hm? Oh. Ja. Stimmt. Hm.” Fertig. Ob ich die fälligen Dinge erledigte oder nicht, hing weiterhin von meiner Motivation ab, nicht von dem Programm.

Dann stieß ich auf eine spielerische Herangehensweise an das Thema. Man wählte einen Helden und kämpfte sich durch eine Welt voller Aufgaben. Für erledigte Aufgaben bekam man Erfahrungspunkte und fand sogar neue Ausrüstungsgegenstände. Lustig. Für eine Woche. Irgendwann wurde das Ganze aber ziemlich absurd.

Mal ein Beispiel. Ich musste “Pinguincomic Nummer X” zeichnen. Also tat ich das. Da ich noch ein paar Ideen hatte, zeichnete ich gleich noch Comics Nummer Y und Z. Das sind übrigens keine Zahlen, sondern Buchstaben. Ist euch sicherlich aufgefallen, oder? Ich wollte es nur erwähnt haben. Bevor Klagen kommen. Jedenfalls trug ich nun die bereits erledigten Aufgaben nachträglich in die App ein und hakte sie danach sofort ab. Ich wollte schließlich die Erfahrungspunkte bekommen. Anschließend schrieb ich “Pinguincomic Nummer”… ähm… was kommt nach Z? Excel sagt AA. Na gut. Anschließend schrieb ich “Pinguincomic Nummer AA” in die Liste und schloss die App. Das war genauso absurd wie das Durchnummerieren mit Buchstaben. Runter mit dem Ding.

Um es kurz zu machen: Es folgte Liste auf Liste. Alles wurde ausprobiert. Immer und immer wieder erstellte ich Listen voller Zeug. Jede App hatte ihre eigene kleine Besonderheit. Punktesysteme. Erinnerungssysteme. Nachrücksysteme. Prioritätensysteme. An Orte gebundene Systeme. Es war der helle Wahnsinn. Und wurde ich produktiver? Meistens für einen Tag, weil ich an diesem das jeweilige System überprüfen wollte. Auf lange Sicht? Nein. Stattdessen nervten mich die Erinnerungen irgendwann. Und so zog ich die Notbremse: Ich löschte alle Programme, die meine Produktivität erhöhen wollten.

Vielleicht gehöre ich einfach nicht zur Zielgruppe dieser Apps. Wobei ich definitiv nicht behaupten würde, immer alles sofort zu erledigen. Manche Aufgaben können warten. Wichtige Dinge erledige ich recht schnell. Spätestens am Fälligkeitstag. Oder einen Tag später. Alles andere? Wenn mir danach ist. Ich räume nicht jeden Montag meinen Schreibtisch auf, sondern immer dann, wenn er zu voll ist. Oder Besuch kommt, der mit Sauberkeit beeindruckt werden will.

Mein aktuelles Produktivitätssystem? Mein Notizbuch. Ich bin wieder zu ihm zurückgekehrt. Aber auf eine viel einfachere Art und Weise als früher. Wieder schreibe ich hinten alles rein, was ich zu erledigen habe. Aber einfach untereinander. Unsortiert. Punkt für Punkt. Was ich erledigt habe, wird durchgestrichen. Fertig. Das sorgt nicht dafür, dass ich mehr mache. “Küche aufräumen” oder “Spülen” landet nicht auf der Liste. Das mache ich, wenn die Zeit dafür reif ist. Auf dieser Liste landen Dinge, die ich nicht vergessen will. “Mail an Person 1” zum Beispiel. Hier habe ich übrigens absichtlich mal eine Zahl genommen, um einen willkürlichen Namen darzustellen. Wenn ich für Zahlen Buchstaben… ach, egal.

Jedenfalls reicht mir die kleine, bescheidene Liste aus. Ich habe das Buch immer dabei. Einen Stift natürlich auch. Um etwas zu notieren, muss ich kein Gerät einschalten, nichts auswählen, nichts einstellen und nichts zuordnen. Ich notiere es einfach. Fertig. Eigentlich ganz einfach. Aber ich bin ja auch jemand, der Einkaufslisten handschriftlich führt. Auch in meinem Notizbuch. Einfach so. Und bisher bin ich noch nicht verhungert.

Das größte Problem dieser Apps und all der anderen Systeme ist wohl, dass sie einem zwar aufzeigen, was zu tun ist, einen aber nicht wirklich motivieren können. Die Listen mögen noch so toll organisiert, interaktiv und übersichtlich sein. Sie motivieren mich nicht. Mein Notizbuch motiviert mich auch nicht. Aber es ist leicht zu bedienen, nicht von Batterien abhängig und muss nicht gestartet werden. Ich brauche nur einen Stift. Und den trage ich wegen des Notizbuchs sowieso immer mit mir herum.

Genürsel 2013 - 14/52 - Pause

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