Genürsel 2013 – 13/52 – Romantik

Genürsel 2013 - 13/52 - Romantik

Romantik hat nichts mit Liebe zu tun. Ich kann jemanden lieben, ohne ihn mit romantischem Gehabe bewerfen zu müssen. Einmal habe ich meiner Frau ein Bild gemalt. Auf diesem stehen wir Hand in Hand auf einer Brücke und schauen in den Sonnenaufgang. Oder war es ein Sonnenuntergang? Keine Ahnung. Ist auch nicht wichtig. Wir hatten uns auf dem Bild die Hände aufgeschlitzt und drückten nun unsere Wunden aufeinander. Das Blut tropfte sich vermischend die Brücke hinab. Die einen mögen nun “Winnetou” schreien, ich dagegen schreibe “Natural Born Killers”. Das ist der Name des Films, den meine Frau und ich wohl als “unseren Film” bezeichnen würden. Meine Frau hat mir mal ein Bild gemalt, in dem sie einem zerhackten Monster das Herz herausgerissen hat und mir glücklich überreicht. Ich glaube nicht, dass das unter den klassischen Begriff der Romantik fällt.

Was da definitiv auch nicht drunter fällt, ist mein Gesang. Kennt ihr diese Filme, in denen Männer mit Gitarren bewaffnet unter Balkonen stehen und ihren Lieblingsfrauen Lieder singen? Ich mache das jeden Tag, nur ohne Gitarre und Balkon. Wir haben zwar einen Balkon, wenn man jedoch unter diesem singen möchte, sollte man ein Lied der Gruppe Slayer anstimmen, um den vorbeifahrenden Verkehr übertönen zu können. Ob diese Form der Romantik dann wieder mit den Nachbarn konform geht, ist eine andere Geschichte.

Zurück zum Gesang: Ich kann zwar nicht richtig gut singen, bringe meiner Frau aber täglich ein Ständchen, das jedem Möchtegernromantiker die Gitarre aus den Händen sprengen würde. Meine Ständchen sind ihr nämlich auf den Leib geschrieben. Also nicht der Gitarre, sondern meiner Frau. Ich muss keine Liedtextspickzettel auf Musikinstrumente schreiben. Ich kann mir die Texte meiner Werke auch so merken. Ich singe nämlich immer nur den Namen meiner Frau. Probiert es doch auch einmal! Nehmt den Namen eurer Frau oder eures Mannes und ersetzt den Text von “Alle meine Entchen” mit diesem. Fertig. Ist gar nicht so schwer, oder? Und auch gar nicht so romantisch. Eher albern. Und eine Therapie. Ich muss meinen Singdrang ausleben, sonst platze ich. Und ich will nicht, dass meine Frau mein Herz irgendeinem dahergelaufenen Typen schenkt. Ich habe noch immer den Verdacht, dass ihr Bild kein Liebesbeweis, sondern eine Warnung war. Wie in diesem Mafiafilm mit dem Pferdekopf.

Das, was man heutzutage als “romantisch” bezeichnet, stammt doch sowieso nur aus dem Fernsehen oder Kino. Das Essen bei Kerzenschein und all der andere Kitschquatsch hat nichts mit der Realität zu tun. Man vergisst oft, dass das Leben nicht aus zusammengeschnittenen Momentaufnahmen besteht. Auch nach einem romantischen Essen muss gespült werden. Ich spüle nicht gerne. Darum esse ich nicht romanisch, sondern Pommes.

Ja, hin und wieder sitze ich mit meiner Frau zusammen auf einem Sofa, halte sie im Arm und gucke einen Film mit ihr. Ist das schon Romantik? Nein. Ist es nicht. Romantik bedeutet, dass man einen Schritt weiter gegangen ist. Man hat etwas getan, um die Atmosphäre umzugestalten. Kerzen zum Beispiel. Habe ich während beschriebener Szene Kerzen um uns gestellt, dann ist das Romantik. Oder ein satanistisches Ritual. Hängt immer von der Anordnung der Kerzen ab. Meine Frau und ich stellen jedenfalls keine Kerzen um uns herum auf den Boden. Wir wissen, dass das in verbrannten Socken enden würde. Oder Bleigießen. Wir haben irgendwann beschlossen, uns einfach zu mögen und das auszuleben. Wir haben geheiratet und damit den größten Schritt unseres gemeinsamen Lebens getan. Ja, der Tag war irgendwie romantisch. Ich musste Colasorten erraten und meine Frau durch ein Herz tragen. Aber lassen wir doch diesen einen Ausnahmetag mal außen vor. Einen Teil dieser Dinge macht man ja nicht für sich, sondern die Gäste. Die wollen schließlich auch unterhalten werden.

Ich kann auf Romantik verzichten. Ich stelle mir gerade vor, wie meine Frau nach Hause kommt und dort eine Linie aus Rosenblättern ihr den Weg ins Badezimmer weist. Sie folgt ihr, öffnet die Tür und sieht mich auf der Toilette sitzen und eine große, dicke Wurst in diese legen. Nein, nicht mit der Hand. Das war jetzt umschrieben. Der Rosenduft jedenfalls wird von anderen Gerüchen schlagartig niedergestreckt. Die Blätter färben sich braun wie die von mir produzierten Ausscheidungen. Wir reißen gleichzeitig unsere Augen auf und während meine Frau ein Messer zückt, um mir mein Herz herauszuschneiden, rufe ich ihr laut entgegen: “Oh, du bist schon zurück? Ich dachte, du kommst erst in einer Stunde vorbei. Ich habe ziemlich viel gegessen. Da wollte ich vorher noch schnell auf die Toilette gehen. Ne leckere, dicke Currywurst gab es. So eine scharfe. Mjam, war die gut. Kannst du mir mein DS-Ladekabel bringen? Der Akku ist fast leer.”

Natürlich würde das Ganze nicht in einem Blutbad enden. Ich glaube, meine Frau wäre misstrauischer geworden, wenn mein ursprünglicher Plan funktioniert hätte. Sie kennt mich. Sie hätte wohl eher ein lautes “Wer bist du und was hast du mit meinem Mann gemacht?” gerufen. Ja, sie kennt mich wirklich. Und ich kenne sie. Bei ihr würde das gleiche Vorhaben mit einem verbrannten Duschvorhang enden, weil sie diesen beim Aufstellen der Kerzen auf dem Badewannenrand vergessen hat. Wären wir romantisch, hätten wir wohl kein Dach mehr über dem Kopf.

Aber gut, es soll ja jeder machen, was er will. Wer Romantik in sein Leben bringen möchte, der soll das tun. Schaut euch doch all die Liebesfilme an, die es auf der Welt so gibt. Lasst euch inspirieren. Lebt eure Liebe mal so richtig aus. Vergesst nur das Spülen nicht. Und nach einem romanischen Grillabend am Strand musste jeder schon mal richtig derbe auf die Toilette. Vergesst nicht, dass Rosenblätter in rauen Mengen auch fehlendes Toilettenpapier ersetzen können. Spült den Blätterhaufen dann am Ende nur nicht mit dem anderen Haufen den Abfluss herunter. Das könnte diesen verstopfen. Und euch gegenüber dem herbeigeeilten Klempner in Erklärungsnot bringen. Fischt die Blätter lieber nach und nach aus der Schüssel heraus. Ihr könnt dabei ja “Er/Sie liebt mich, er/sie liebt mich nicht.” sagen und verträumt gucken.

Genürsel 2013 - 13/52 - Romantik

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