Genürsel 2013 – 02/52 – Sprache

Genürsel 2013 - 02/52 - Sprache

Vor zwei Jahren sorgte ich durch die Veröffentlichung meines ersten Buchs dafür, dass mir seitdem immer wieder eine Frage gestellt wird, die mir während der ersten Wochen ihres Auftretens regelmäßig die Sprache verschlug. Da mir nur sehr, sehr selten etwas die Sprache verschlägt, werde ich im Folgenden über diese Frage reden. Sie lautet: “Wie viele Bücher hast du verkauft?”

Dabei geht es mir zunächst einmal gar nicht um die Frage an sich. Grundsätzlich ist verständlich, warum sich Leute für die Verkaufszahlen meines Buchs interessieren: Sie sagen schließlich alles über seine Qualität aus. Geringe Verkaufszahlen zeigen, dass es sich um ein schlechtes Buch handelt, wodurch es nicht mehr gelesen werden muss. Das erspart viel Zeit. Diese Regel trifft auch auf das selbst verlegte Buch eines unbekannten Hobbyschriftstellers zu. Das ist ein Fakt. Habe ich zumindest gelesen. Irgendwo. Vielleicht. Egal. Auch abseits irgendwelcher Beweise muss die Behauptung stimmen, schließlich würde man Verkaufszahlen ansonsten nicht eine solche Gewichtung zukommen lassen, sondern eher Fragen wie “Hat das Schreiben Spaß gemacht?” oder “Wie kam das Buch denn bisher so an?” stellen und nicht “Wie viele Bücher hast du verkauft?” Viel wichtiger als die genannte Frage ist das, was meine Antwort auslöst. Diese lautet nämlich: “Genug.”

Jetzt mal ehrlich: Meine Verkaufszahlen gehen niemanden etwas an. Genauso wenig was ich mit meinem Buch verdiene. Ich bin nicht dazu verpflichtet, hierüber Auskunft zu geben. Mein “Genug” ist so nichtssagend, dass es in meinen Augen die perfekte Antwort darstellt. Aber genau hier wird es dann interessant. Denn vielen Leuten reicht ein “Genug.” nicht. Sie wollen harte Fakten und es kommt zu Situationen, die ich gerne einmal schildern möchte.

Situation Nummer eins: Die Hartnäckigen.

Auf mein “Genug.” folgt die Aussage: “Jetzt sag schon!” Ich gebe nun einen Fall wieder, mit dem ich mich vor einiger Zeit konfrontiert sah.

Ich hatte mich bei einer Firma für einen kleinen Nebenjob beworben. Es ging um einen typischen Bürojob. Anrufe annehmen und Termine planen. Sekretär, könnte man sagen. Während des Bewerbungsgesprächs fiel meinem potentiellen neuen Vorgesetzten natürlich die im Lebenslauf erwähnte Buchveröffentlichung auf. Sofort kam die Frage: “Wie viele Bücher haben sie denn verkauft?” Ich antwortete: “Genug.” Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir diese Antwort schon zurechtgelegt. Man will ja nicht unvorbereitet zu einem Bewerbungsgespräch erscheinen. Wir wissen, wie das enden kann. Mord und Totschlag sind harmlos im Vergleich zu dem Gefühl, das sich in einem breit macht, wenn man die “Was genau macht unser Unternehmen eigentlich?”-Frage nicht beantworten kann.

Jedenfalls reichte meinem Gegenüber das “Genug.” nicht.

“Sagen sie doch mal.”
“Ich rede nicht über meine Verkaufszahlen.”
“Über 1.000 Bücher?”
“Ich möchte da nichts zu sagen.”

Hier begann mein Abstieg auf der Sympathiepunkteliste des Fragestellers. “Unter 1.000?” Ich war sprachlos. Ich wusste einfach nicht, was ich noch sagen sollte. “Deutlich unter 1.000?” Ich reagierte nicht mehr, sondern schüttelte den Kopf. Würde dieser Kerl jemals Ruhe geben? Ich mache es kurz: Es dauerte lange. Nach “Deutlich unter 1.000?” kam “500?”, gefolgt von “250?” und dann “Wenigstens 100?” Ja, ich war auf der Suche nach einem Nebenjob, die Lust auf diesen hier hatte ich jedoch verloren. Ich wurde zum Glück nie wieder so hartnäckig über meine Verkaufszahlen ausgequetscht wie an diesem Tag und ich würde nur zu gerne erfahren, warum dies geschah. Nein, das ist gelogen. Ich weiß, warum man nach den Zahlen fragte. Weil es sich bei dem Einstellungstester um einen Geschäftsmann handelte.

Die Stelle als Sekretär habe ich übrigens nicht bekommen. Weil ich laut Aussage des Prüfers als Schriftsteller zu den “kreativen Menschen” gehörte und deswegen nicht in der Lage war, mich an vorgegebene Telefonabläufe zu halten. Ja, das waren seine Worte. Einen kleinen Moment, bitte. Ich muss mal eben für ein paar Minuten zum Lachen in den Keller.

14 Minuten später.

Da bin ich wieder! Ich kann den Prüfer total verstehen. Es ist wirklich schlimm, seine eigene Kreativität nicht unter Kontrolle halten zu können. Erst vor wenigen Tagen wurde ich eines Supermarkts verwiesen, weil ich nicht den von mir eingeforderten Betrag für meinen Einkauf mit Geld bezahlen wollte, sondern stattdessen meine Kreativität spielen ließ und versuchte, der Verkäuferin ein selbstgebasteltes Mobile aus Bandnudeln und eingelegten Pfirsichen anzudrehen. Natürlich erfolglos. Die unkreative Kassenfrau war empört und rief den Sicherheitsdienst, der mein Nudelpfirsichkunstwerk mit einem Granatapfel in die Luft sprengte und mir danach so lange mit einem Nudelholz gegen die Schienbeine schlug, bis ich zur Geldbörse griff und meinen Einkauf so bezahlte, wie es unkreative Menschen machen. Es ist nicht auszudenken, welchen Schaden ich in der Firma angerichtet hätte. Gut, dass meine gefährliche Kreativität vom Personalprofi sofort erkannt wurde. Wie sagt man so schön? “Gefahr gebannt, Elefant.” Oder so.

Das Verlangen, immer weiter nach meinen Verkaufszahlen zu fragen, bringt mich gleich zu…

Situation Nummer zwei: Die abwertenden Kommentare.

Wisst Ihr, warum ich mit dem Schreiben begonnen habe? Um irgendwann Texte schreiben zu können, in denen ich diese Frage beantworte. Aber das ist noch nicht alles! Ich habe damit angefangen, um eine Milliarde Bücher zu verkaufen. Dass mir das bisher nicht gelungen ist, versetzt mich in tiefe Trauer und ist mir zudem peinlich. Ich weine mich jede Nacht in den Schlaf. Darum habe ich mein Bett mittlerweile auch in die Badewanne verlegt. Die fängt meine Tränen auf und ich kann mich in den frühen Morgenstunden an ihnen laben. Außerdem kann ich so verschleiern, dass ich mir über Nacht in die Hosen gemacht habe. Soll ja häufig passieren. Vor allem bei Menschen, die so gescheitert sind wie ich.

Es ist schon fast lustig: Wenn ich mit meinem “Genug.” antworte, dann wird hin und wieder tatsächlich “Dann können es ja nicht viele gewesen sein.” erwidert. Zack. Ins Gesicht. Einfach so. Das ist, als würde man mir mit der Faust ein Ohr abschlagen und danach nicht wissen, was daran jetzt falsch gewesen sein soll. Woher kommt die Schlussfolgerung, dass verschwiegene Verkaufszahlen schlechte Verkaufszahlen bedeuten? Die Antwort kennt natürlich jeder: Mit Erfolg muss angegeben werden. Verkaufe ich viele Bücher, muss ich dies jedem Passanten in der Frankfurter Innenstadt mitteilen. Am besten mit Hilfe eines abstrakten Ausdruckstanzes. Weil ich ja Künstler bin. Und erfolgreich. Ich sage nun etwas, was vermutlich nicht jeder nachvollziehen kann: Sollte ich jemals eine Milliarde oder sogar noch viel, viel mehr Bücher verkaufen, so werde ich auch das niemandem verraten. Verrückt, oder? Wie kann man so überleben? Bin ich überhaupt ein richtiger Mensch?

Das Ziehen negativer Schlussfolgerungen verschlug mir damals jedenfalls immer die Sprache. Was soll man darauf auch antworten? Mittlerweile weiß ich es: “Genau.” Mehr nicht. Manchmal beginnt der Kombinator vor mir dann plötzlich peinlich berührt zu lachen. Entweder weil er die Dreistigkeit seiner Aussage erkannt hat oder weil ich im leid tue. Hier kommt es mir sehr gelegen, dass ich mich die meiste Zeit meines Lebens nicht dafür interessiere, was andere Menschen über mich denken und ich zudem der Meinung bin, im eigenen Leben Geheimnisse haben zu dürfen. Muss ich immer zu allem Stellung beziehen? Ist es schlimm, wenn jemand aufgrund falscher Vermutungen genauso falsche Vorstellungen von mir hat? Nein. Dann bin ich eben ein gescheiterter Schriftsteller mit zehn verkauften Büchern, von denen sieben im eigenen Bücherregal stehen. Macht das meine Bücher schlecht? Von mir aus. Bin ich trotzdem noch stolz auf sie? Natürlich. Und wie!

Genürsel 2013 - 02/52 - Sprache

Ich bin froh, dass mir die Frage nach meinen Verkaufszahlen nicht mehr die Sprache verschlägt. Zwar wünsche ich mir, hin und wieder auch mal nach anderen Dingen als meinen Umsätzen gefragt zu werden, letztendlich habe ich mich aber daran gewöhnt und kann es nicht ändern.

Zum Abschluss komme ich noch auf eine Art “Nebensituation” zu sprechen.

Nebensituation A: Das “Als ob!”

Manchmal bin ich total komisch drauf und erzähle Leuten, dass ich zunächst einmal nicht für die Buchverkäufe schreibe, sondern des Schreibens wegen. Ich erzähle gerne Geschichten, schreibe sie genauso gerne auf und freue mich darüber, andere mit den Resultaten zu unterhalten. Ich finde es toll, gelesen zu werden. Auf diese Aussage wird dann oft Folgendes erwidert: “Als würdest du dich nicht darüber freuen, 10.000.000.000.000 Bücher zu verkaufen!!!” Meistens wird man dann angesehen, als wäre man soeben bloßgestellt worden und hätte keine Hose an. Nein, das ist kein guter Vergleich. Dies würde zu Erstaunen führen. Genauso wie das Niveau, auf dem wir uns hier plötzlich befinden. Man soll sich enttarnt fühlen. Entlarvt. Tja. An dieser Stelle verschlägt es mir leider auch heute noch die Sprache.

Genürsel 2013 - 02/52 - Sprache

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