Was zählt zu dem Schlimmsten, was jemanden unerwartet während seiner Zeit auf dem Fantasy Filmfest 2014 heimsuchen könnte? Richtig! Zahnschmerzen! Der letzte Artikel endete mit einem Cliffhanger, nun möchte ich die Geschichte um meinen kaputten Zahn ein bisschen vertiefen. Weil mir ja ansonsten noch zu wenig auf dem Festival passiert ist.
Zur Erinnerung: Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich kam nach “Wolf Cop” zu Hause an, dachte an nichts Böses und bemerkte böse Zahnschmerzen.
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Ich war nicht erfreut und legte mich ins Bett. Schmerzen wegschlafen. Manchmal klappt es. Aber nicht heute. Ich lag bis nach fünf Uhr wach im Bett und konzentrierte mich darauf, die Zahnschmerzen, wenn ich sie schon nicht wegschlafen konnte, immerhin wegzudenken. Auch das gelang mir nicht. Als mich dann irgendwann die Erschöpfung übermannte, schlief ich für etwa zwei Stunden. Dann stand ich auf. Es hatte sowieso keinen Sinn mehr. Mein Backenzahn hatte sich gegen mich verschworen.
Am frühen Morgen rief ich bei meiner Zahnärztin an.
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Es war immerhin Freitag. Ein Wochenende lang die Schmerzen zu ertragen kam nicht in Frage. Zum Glück erhielt ich noch einen spontanen Termin um 13:30 Uhr. Zu dieser Zeit lief die “Wolf Cop”-Wiederholung, ein Ereignis, das ich nur allzu gerne verpasste.
Machen wir es kurz: Karies bis an die Wurzel.
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Wie ich das nicht bemerken konnte, ist mir ein Rätsel. Es gab zwei Möglichkeiten: Wurzelbehandlung oder Zahn ziehen. Was mir die Entscheidung abnahm: Es handelt sich nicht um einen klassischen Backenzahn, sondern um einen Weisheitszahn. Ich fragte meine Zahnärztin, ob sie den Zahn gleich mitnehmen wollte, sie verneinte jedoch. Das müsse erst genauer untersucht werden. Also begann sie zu bohren. Sie füllte das Loch mit einem schmerzlindernden Medikament und verschloss das ganze wieder. Der Schmerz war weg und meine rechte Mundhälfte gelähmt. Das Festival konnte weitergehen.
Ich war den ganzen Tag über ziemlich mies drauf. Die Schmerzen waren zwar weg, geschlafen hatte ich dafür so gut wie gar nicht. Jetzt fünf Filme am Stück zu gucken, klang anstrengend. Aber wie das so ist: Man motiviert sich selbst und macht das Beste draus.
Film 42 – Patch Town
Es folgt ein bisschen Biologieunterricht. Kinder wachsen in Kohlköpfen heran. Dort werden sie in einer Fabrik aus ihren natürlichen Behältnissen herausgeschnitten und… und… ich würde es wirklich gerne erzählen. Aber ich kann es nicht. Es würde “Patch Town” ziemlich zerstören, würde man zu viel vorwegnehmen. Sagen wir einfach, dass es sich hier um ein düsteres Märchen handelt, in dem ein böser Firmenbesitzer Sklaven für sich arbeiten lässt, die nichts über ihre Vergangenheit wissen. Sie sitzen am Fließband, schneiden Kohlköpfe auf und sammeln die darin liegenden Babys. Hin und wieder singen sie auch.
Ja, sie singen. Ein Musical. Schockschwerenot.
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Aber ihr könnt sitzen bleiben. Bei “Patch Town” wird nur sehr, sehr selten gesungen und wenn es geschieht, dann ist es wirklich gut. Endlich können die Sänger in einem Filmmusical mal wirklich singen und sind nicht irgendwelche Schauspieler, die nur so tun als ob. Ich meine übrigens dich, “Stage Fright”. Und diverse andere Musicals, die ich hier natürlich NICHT nennen werde, weil ich keine Lust auf Diskussionen mit Musicalliebhabern habe.
Wir folgen einem Fabrikarbeiter und dessen Frau auf den Weg in die Freiheit. Mitsamt einem vom Arbeitsplatz entwendeten Kleinkind machen sie sich eines Tages auf und davon. Selbstverständlich hat der große Böse da noch ein Wörtchen mitzureden und verfolgt die drei. Mit Hilfe eines Klischeeinders geht es nun darum, sich die Freiheit zu erkämpfen und den bösen Machenschaften des Fabrikbesitzers den Gar aus zu machen.
Ein guter Film. Er erzählt eine schöne Geschichte und hat ein paar sehr sympathische Charaktere zu bieten. Im Grunde mag ich alles außer diesen Klischeeinder. Warum man den in einen Film voller guter Charaktere gesteckt hat, weiß ich nicht. Will ich auch nicht wissen. Er ging mir auf die Nerven. Sehr. Was wie gesagt ziemlich schade ist. Dennoch kann man sich den Film ansehen. Ein düsteres Märchen mit wenig (dafür gutem) Gesang und sympathischen Leuten. Warum nicht?
Film 43 – R100
Ein Mann, der sich gerne von in Leder gekleideten Frauen schlagen lässt, trifft auf ein Unternehmen, dass ihm genau dies bietet.
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Mit einem ganz besonderen Clou: Der Mann unterschreibt einen Vertrag und von diesem Zeitpunkt an kann es jederzeit passieren, dass ihm plötzlich eine Domina gegenübersteht und ihm die Fresse poliert. Jederzeit. In einem Lokal, auf der Firmentoilette oder einfach nur auf der Straße. Warum ein Mann das mit sich machen geschweige denn sich darauf einlässt? Weil er auf der Suche nach Euphorie ist. Haut ihm eine Domina eine runter, ist er glücklich und ihm strömen Energiewellen aus dem Kopf. Das meine ich übrigens wörtlich.
“R100” ist von dem Genie, das vor ein paar Jahren mit dem Film “Symbol” die Welt zu einem besseren Ort gemacht hat. Und mit “R100” zeigt er uns nun, dass er noch lange nicht am Ende seiner Reise angekommen ist. Was für ein verrückter und durchgeknallter Film. Obige Einleitung mag wie ein dreckiges Sexfilmchen klingen, doch eigentlich ist “R100” das gar nicht. Außer hin und wieder. Dann ist er plötzlich doch ein dreckiges Sexfilmchen. Nur ohne Sex. Aber dafür mit umso mehr Gewalt. Und ein wenig Spucke.
Von Minute zu Minute begegnen wir neuen verrückten Ereignissen und Personen. Plötzlich sehen wir Filmkritikern dabei zu, wie sie zwischen einzelnen Szenen des Films den Kinosaal verlassen und das Geschehen kommentieren. Der Film spielt auf so vielen Spaßebenen, dass ich nur schwer nicht über ihn nachdenken kann. Ich liebe skurrile und groteske Filme. “R100” ist genau das, was ich brauche, wenn ich mich heutzutage noch im Kino überraschen will. Hitoshi Matsumoto? Ich mag dich. Danke für diesen Film.
Film 44 – 13 Sins
Hey du! Typ! Ich gebe dir 10 Euro, wenn du deinen Bildschirm ableckst! Deal? OK! Und du bekommst 5.000 Euro wenn du den gleichen Bildschirm nach dem Ablecken vom Balkon wirfst. Deal? OK! Dann bekommst du im Anschluss 10.000 Euro von mir, wenn du einem Kind auf der Kirmes den Ballon klaust, mit einer Nadel zerstichst und ihm das Teil daraufhin wieder zurück gibst. Deal?
So kann man “13 Sins” wohl am besten beschreiben. Ein Kerl bekommt mir nichts dir nichts mysteriöse Anrufe und ominöse Angebote.
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Er soll dreizehn Aufgaben erledigen. Für jede erhält er mehr Geld. Er muss jedoch alle dreizehn Aufgaben abschließen, um das Geld behalten zu dürfen. Bricht er nach Aufgabe zehn das Spiel ab, verliert er alles. Der Film erinnerte mich stark an “Cheap Thrills”, der letztes Jahr lief. Wie weit gehst du für Geld?
“13 Sins” ist durchweg spannend. Man weiß, was passieren wird. 13 Setpieces. Da kann eigentlich keine Langeweile aufkommen. Tut es auch nicht. Dass die Aufgaben von Mal zu Mal schlimmer werden, ist ebenfalls klar. Dass die Moral irgendwann auf der Strecke bleibt, auch. Der Film war sehr unterhaltsam und hatte ein paar angenehm gemeine Szenen und sogar Wendungen zu bieten. Man kann nicht viel gegen den Film sagen. Einfach eine solide Leistung.
Nach dem Film war übrigens der Regisseur anwesend und hat ein paar Publikumsfragen beantwortet.
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Eine nette Gesprächsrunde war das. Auch nach dem Film hat er sich noch ein wenig unters Volk gemischt und aus dem Nähkästchen geplaudert. Ich habe gerne zugehört.
Film 45 – The strange color of your body´s tears
Japp. Längster Titel des Festivals. Aber das ist noch nicht alles. Der Film war wohl das beeindruckendste Kinoerlebnis, das ich seit langer Zeit haben durfte. Wahnsinn. Mit taten die Ohren weh, ich schwitzte und meine Augen mussten sich erst einmal an die triste Realität außerhalb des Kinosaals gewöhnen.
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Wo fange ich an? Bei der Geschichte? Das ist gar nicht so einfach. Ein Mann kommt nach Hause und seine Frau ist verschwunden. Die Tür war von innen verriegelt, von der Frau fehlt jedoch jede Spur. Sofort begibt sich der Ehemann auf die Suche nach ihr.
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Er befragt die im gleichen Haus lebenden Nachbarn, ob sie etwas bemerkt haben, irrt umher, kommt merkwürdigen Geheimnissen auf die Spur und durchlebt gleichzeitig Albträume und Phantasien, die man gar nicht beschreiben kann.
“The strange color of your body´s tears” war schwer. Schwerer noch als “Under the skin”. Den hatte ich am Ende eigentlich ziemlich gut verstanden. Bei “Color”, so kürze ich ihn ab jetzt einfach mal ab, war das anders. Klar, die Grundgeschichte habe ich oben wiedergegeben. Aber das erklärt noch lange nicht, was sich hier alles abspielt. “Colors” ist ein filmgewordener Albtraum und Fieberwahn. Was ist Realität, was Traum, was Vorstellung? Man weiß es nicht immer. Der Film spielt mit Farben, vor allem aber mit dem Ton.
Es kommt selten vor, dass mich der Ton eines Films so beeindruckt, wie hier. Der Bass drückt den Zuschauer in spannenden Szenen mit aller Gewalt in den Sitz. Man zittert buchstäblich mit den Charakteren mit und krallt sich im Sitz fest. Sieht man ein Messer, geht ein scharfer, greller Ton von den Klingen aus, die einem die Gehörgänge zu zerschneiden drohen
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Es war der pure Wahnsinn. Da wird jemand mit einem Messer verletzt und mir tun die Ohren weh, während meine Augen versuchen, die schwarz-weißen Standbilder vor ihnen zu sortieren.
“The strange color of your body´s tears” ist ein Film, der einem zeigt, warum es das Kino gibt. Ganz ehrlich: Scheißt auf Superheldenfilme. Ja, ich weiß, Explosionen sind laut und groß und die Effekte beeindruckend. Aber seit “Colors” kann ich glaube ich nur noch laut über Kommentare dieser Art lachen. Natürlich ist das jetzt total übertrieben. “Godzilla” werde auch ich weiterhin im Kino sehen. Aber wer sich einmal wirklich vom Geschehen auf der Leinwand mitreißen lassen will, der sollte sich “Colors” im Kino ansehen. Auch wenn ich nicht glaube, dass das so einfach möglich sein wird. Gegen “Avengers 12” hat der Film natürlich keine Chance. Hätte er sie verdient? Ich weiß es nicht. Ich weiß so einiges nicht, wenn es um “Colors” geht. Aber dieser verdammte Film war ein verdammtes Erlebnis. Ein verdammt schmerzhaftes Erlebnis. Und gleichzeitig so gut. Danke, Fantasy Filmfest 2014. Wirklich. Danke.
Auch hier war übrigens der Regisseur anwesend. Die Regisseurin zunächst auch, leider machte ihr Kind ein wenig Stress, wodurch sie die Vorstellung frühzeitig verlassen musste. Schade. Aber der Anwesende stellte sich allen Fragen, auch nach dem Film. Ein angenehmer Zeitgenosse und ein Film, zu dem man vermutlich mehrere Stunden lang Fragen stellen könnte.
Film 46 – All cheerleaders die
Tja. Der heutige Tag war bisher gut. Keine Gurke dabei. Und “R100” sowie “The strange color of your body´s tears” waren der Wahnsinn. Wenn ich so anfange, sollte klar sein, dass es so nicht bleiben konnte. Den Abschluss des heutigen Tages machte “All cheerleaders die” und heiliger Strohsack, Batman, war das ein grausiger Abschluss aus der Hölle der schlechten Filme.
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Wie schafft man es eigentlich, einen Film zu drehen, in dem KEIN EINZIGER sympatischer Charakter vorkommt? Wirklich! KEIN EINZIGER! Ich freute mich über jeden Todesfall. Das war wie damals während “Black Rock”. “Wann sind die denn endlich alle tot? Ich will heim!” Ein Trauerspiel. Abgrundtief schlecht.
Aber man will ja etwas über die Filme schreiben. Worum geht es? Um Cheerleader!
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Ein paar Cheerleader… ähm… ich habe keine Ahnung, was die machen. Cheerleaderzeug. Sie trainieren, kämpfen um freie Plätze im Team und nennen sich “Bitches”. Japp. “Bitches”. Und dann sind da noch die Footballspieler.
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Die sind alle notgeil und wollen die Cheerleaders begatten. Aber dann ist irgendwas blöd und man streitet sich und die Typen sind die totalen Volldeppen und töten während einer bescheuerten Verfolgungsjagd mit zwei Autos alle Cheerleader. Aber da ist dann diese eine Tuse, die bleiche mit schwarzen Haaren, die eigentlich eine Hexe ist.
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Die bringt die sportlichen Tanzdamen mit Hilfe von ein paar bunten Steinchen zurück ins Leben und sorgt so dafür, dass dieses abartige Filmtrauerspiel nicht schon nach zwanzig Minuten aufhört.
Dann passieren noch viele andere Dinge, die ich nicht weiter beschreiben will. Alles ist dumm. Niemand ist sympathisch. Nichts ergibt Sinn. Der Böse ist ein Depp. Alles ARGH! Lasst uns doch lieber wieder über meine Zahnschmerzen reden. Die waren nämlich etwas, was “All cheerleaders die” 90 Minuten lang nicht war: weg.
Nein. Wirklich. Lasst uns die Sache beenden. “All cheerleaders die” war unter aller Sau. Nicht lustig, nicht gut, nicht gar nichts. Ende im Gelände.
Zu Hause fiel ich sofort ins Bett. Kein “Diablo 3”, kein schreiben. Ich war müde. Der letzte Film hatte mich vollkommen aufgezehrt. Ich hatte keinen noch so kleinen Funken Energie mehr in mir. Mein Zahn tat zum Glück nicht mehr weg. Mein Kopf nach “Colors” und “Cheerleaders” nur noch ein wenig. So unterschiedliche Filme und doch schmerzten beide noch im Nachhinein. Der eine auf gute, der andere auf schlechte Art und Weise.
Während ich nun hoffe, dass meine Zahnfüllung das Wochenende über hält, verabschiede ich mich. Morgen sind wieder sechs Filme am Start. Juhu. Erholung beendet.
Gesehene Filme: 46 von 62 (74%).