Der letzte Tag ist eindeutig viel zu stressig gewesen. Doch er bewies mir vor allem eines: ich war unschlagbar und tatsächlich der König der Straße. Der Herrscher über den Highway. Der Highwayman.
Doch leider war ich dadurch auch ganz auf mich allein gestellt. Niemand traute sich mehr in meine Nähe. Niemand wollte von meiner grenzenlosen überlegenheit zu den Worten “I QUIT!” gezwungen werden. Ich wusste nicht, ob ich mit diesem von mir aufgebauten Gimmick weiterleben wollte. Um mich von meinen Aufgabegedanken abzulenken, verließ ich den zuvor aufgesuchten Parkplatz und begab mich auf die Suche nach einem neuen Auftrag.
Dieser war schnell gefunden.
Die Strecke von Kiel nach Rostock klang ideal für eine kleine Auszeit zum Nachdenken.
Ich holte die Ladung ab und verließ Kiel.
Ich hatte nicht zu viel erwartet. Ich beobachtete die Zielgruppe des Landwirtschaftssimulators bei der Arbeit, während ich über mein Dasein als Singles-Competitor nachdachte.
Die Strandkörbe an der Küste stimmten mich melancholisch. Ich musste an meine Auftritte in den Kellenhusener Arenen denken und an die nächtlichen Strandkorbnacktpartys mit meinen Wrestlingkollegen.
Nach einiger Zeit ließ ich das Meer hinter mir und fuhr durch eine wahre Traumlandschaft. Die natürliche Idylle machte mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich wollte nicht mehr alleine sein. Es war Zeit für ein Tag-Team. Nein, es war Zeit für ein Stable. Die spa-zone musste mit Leben gefüllt werden.
Ich hatte neuen Mut gefasst. Glücklich teilte ich der hinter mir immer größer werdenden Wagenkolonne mit, dass ich nun wieder schneller als mit Schrittgeschwindigkeit fahren würde.
Man freute sich wirklich sehr für mich und ich musste mir nach einiger Zeit meine Freudentränen vom Waschbrettbauch wischen. Dabei achtete ich nicht wirklich auf die Straße vor mir und nahm eine kurze Auszeit im Grünen.
Das Wendemanöver dauerte nicht lange.
Auch wenn die Schlange auf der Autobahn da vielleicht etwas anderes behaupten würde.
Wie auch immer. Ich erreichte Rostock und mein Ziel. Die Fracht wurde abgeladen und Geld kassiert.
Also gut. Der Entschluss stand fest. Ich wollte ein Stable gründen. Dafür musste ich meine Basis ausbauen. Ich hätte dies vermutlich auch telefonisch erledigen können, doch ich wollte für diesen Schrit vor Ort sein. Dafür musste ich zurück nach Frankfurt. Auf dem Weg wollte ich selbstverständlich noch ein paar Aufträge abarbeiten. Zwar hätte ich auch einfach so nach Frankfurt fahren können, das wäre aber mit dem Verbrennen eines Money-in-the-bank-Koffers gleichzusetzen gewesen.
Als ich von einer Lieferung bestehend aus 11 Tonnen Spielzeug zurück nach Kiel erfuhr, musste ich nicht lange nachdenken.
Ich mag Spielzeug.
Der Gedanke an glückliche Kinderaugen ließ mich so sehr jauchzen, dass ich ein Straßenschild überfuhr.
Ich regelte meine Lebensfreude ein paar Stufen herunter und verließ Rostock.
Die ersten Stunden verliefen ohne erwähnenswerte Vorkommnisse und ich war gedanklich in meine Stablegründung vertieft. Darum fuhr ich für meine Verhältnisse rücksichtsvoll, also auf der richtigen Fahrbahn und mit der richtigen Geschwindigkeit. Ich fühlte mich richtig wohl, BIS MIR PLöTZLICH AUF MEINER FAHRBAHN EIN ROTER PKW ENTGEGENKAM UND MICH FRONTAL RAMMTE!
Ich war ziemlich durch den Wind, sage ich euch. Das war wie vor ein paar Jahren, als mein damaliger Tag-Team-Partner Heel turnte und mir dies während eines Extreme-Regeln-Matches per Chairshot ins Gesicht mitteilte.
Was war da gerade geschehen? Die Antwort war schnell gefunden. Der PKW hatte ein anderes Fahrzeug überholen wollen, dabei aber nicht auf den Gegenverkehr geachtet. Ein Anfängerfehler, der meinen Truck ziemlich demolierte. Genauso wie meine gute Laune. Ich lasse ja viel durchgehen, das war aber definitiv zu viel.
Ich beschloss, für einen kurzen Moment ebenfalls zum Heel zu turnen. Ich verwandelte das Match in ein Submission-Match und nahm meinen Gegner in den Kamel-Griff.
Nach kurzer Zeit sah ich das Blinkersignal, das die Aufgabe signalisierte, doch ich ließ nicht locker. Wie der perfekte Heel verstärkte ich meinen Griff sogar noch.
Immer weiter drehte ich das Fahrzeug. Seine Gelenke knackten.
Erst, als ICH mich besser fühlte, gab ich nach und den PKW frei.
Ich sah ein letztes Mal zurück und lachte, als ich das gegnerische Fahrzeug in der Hecke hängend und regungslos dastehen sah.
So erreichte ich Kiel.
Ich war immer noch ein wenig mies gelaunt und schenkte Ampeln erst mal keine Beachtung mehr.
Ich lieferte das Spielzeug ab und erhielt meine Bezahlung. Das munterte mich immerhin ein bisschen auf. Das Spielzeug hatte nichts abbekommen.
Mein Wagen musste natürlich unbedingt repariert werden, doch ich wollte zunächst einmal schlafen gehen, mich erholen und vor allem beruhigen.