Coole Chemie

Ich fühle mich dazu verpflichtet, eine Tatsache in die Welt zu brüllen, die laut meinen Informationen zwar wohl bekannt ist, den einen oder anderen aber vielleicht doch überrascht: Ich bin der Coolste im ganzen Land. Wie ich zu dieser Feststellung gelangt bin? Das bin ich gar nicht, denn sie wurde mir mitgeteilt. Doch vielleicht sollte ich zunächst in die Vergangenheit greifen und vereinzelte Ereignisse noch einmal in die Gegenwart zerren, um zu erklären.

In der Schule gab es ein Fach, mit dessen Inhalten ich damals absolut nichts anfangen konnte. Dieses lautete Chemie. Ich hatte zwar nie behauptet, es sei unwichtig, es interessierte mich nur einfach nicht und ich hatte keine Lust, mich lange damit zu beschäftigen.

Jedoch ist meine persönliche Meinung über Chemie hier gar nicht von Bedeutung. Ich nutze diesen Textteil nämlich lediglich, um auf einen Bereich der Chemie zu sprechen zu kommen, der wohl eher in Beziehungsfragen als in chemischen Experimenten zu tragen kommt: Die Chemie zweier Menschen.

Gemeint ist natürlich die Beziehung zwischen zwei Personen. Man sagt ja, dass der Erfolg einer Beziehung abhängig sei von der “Chemie” der beiden Teilnehmer und das grandiose Scheitern des Erfolgs durfte ich kürzlich am eigenen Leibe feststellen. Ich bin mir sicher, dass mein Chemielehrer sowie alle Chemiker dieser Erde nun am liebsten tödliche Chemikalien über mich ergießen würden, da ich ihre wundervolle Wissenschaft mit unnützem Beziehungsgeschwafel in Verbindung gebracht habe und dafür möchte ich mich natürlich entschuldigen. Natürlich haben Chemiker nichts mit Beziehungen zu tun.

Aber zurück zum Thema. Wie es sich so gehört, bin auch ich immer auf der Suche nach Möglichkeiten meine Miete zu bezahlen. Dies lässt mich zum Beispiel in einem Supermarkt Regale mit den Waren befüllen, die kurze Zeit später von gierigen Kunden wieder herausgenommen werden. Da ein Supermarkt in der Regel aus mehr als einer Regalwand besteht, bin ich auch nicht der einzige, der hier dieser Beschäftigung nachgeht. Und einer meiner Kollegen ist ein Mensch, der nicht nur über eine andere Chemie als ich verfügt, sondern diese auch noch mit Hilfe einer großen Mauer von meiner abtrennt, um jegliche Art der Vermischung sofort im Keim zu ersticken.

Das größte Problem an ihm ist, dass er ein Freund der sinnlosen Unterhaltungen ist, die man als intelligenter Mensch einfach nicht führt. Dies soll ein Beispiel verdeutlichen: Ich war gerade dabei, ein paar Kartons voller Milchtüten einzuräumen, als mein geschätzter Kollege an mir vorbei ging, mich sah, stehen blieb und folgendes sagte: “Oh, wie ich sehe, machen sie die Milch.”

Nachdem er die Wörter ausgestoßen hatte, erwartete er eine Reaktion von mir. Ich sagte gar nichts, nickte lediglich in seine Richtung, grinste und ging wieder meiner Arbeit nach, woraufhin auch er ging. Gerne hätte ich ihm aber etwas anderes gesagt. Zum Beispiel, dass ich gar keine Milch mache, weil ich keine Kuh bin. Oder dass er sich solch inhaltslose Gesprächsanfänge doch bitte für Leute aufheben soll, die sich für sowas interessieren. Es mag ja Menschen geben, die sich eine Stunde lang unterhalten können, ohne wirklich über etwas zu reden. Ich jedenfalls kann das nicht. Und ich möchte das auch nicht. Sollte mir mein Kollege noch einmal mit einer solchen Feststellung über den Weg laufen, werde ich ihm eine Milchtüte quer in den Mund schieben und dafür sorgen, dass er die nächsten Tage derjenige ist, der hier die Milch macht. Und zwar auf Toilette.

Dieses Beispiel ist aber nur eines von vielen, die ich hier hätte niederschreiben können. Jedes Mal, wenn er mit mir redet, weiß ich einfach nicht, was ich sagen soll. Ist Freitagabend Feierabend und man trifft sich im Mitarbeiterbereich, kommt er angelaufen und fragt: “Na, freuen sie sich schon aufs Wochenende?” Trifft man sich vor der Arbeit kommt dagegen ein: “So, dann geht es jetzt wohl los mit der Arbeit.” Und immer wieder schaut er einen nach seinen Aussagen an und erwartet eine Reaktion. Ich beschränke mich reaktionell immer auf ein “Ja” oder “Nein”. Zum einen möchte ich vermeiden, längere Gespräche mit ihm auszulösen, zum anderen möchte ich auf gar keinen Fall, dass er sich mit dem Gedanken anfreundet, ich würde mich mit ihm anfreunden wollen. Um Himmelswillen! Das wäre ja nicht auszuhalten! Wenn die Chemie nicht stimmt, sollte man nicht zwanghaft versuchen, irgendwo eine Verbindung herzustellen. Was nicht ist, muss auch nicht werden. Mir ist das vollkommen klar. Meinem Kollegen leider nicht. Es scheint fast so, als fühle er sich innerlich dazu berufen, mit mir zu reden. Und damit komme ich auch wieder zurück in die Gegenwart.

Schließlich muss ich noch erklären, warum ich der Coolste bin. Es ereignete sich nämlich, dass ich nach der Arbeit meinem geschätzten Diskussionsdummerchen über den Weg lief. Als er mich sah, kam er zu mir und sagte dann folgendes: “Wer ist der Coolste im ganzen Land? Es ist Herr Himmen, wohl bekannt.” Ich blieb stehen, schaute ihn schockiert verständnislos an, zog mein Handy aus der Hosentasche und tat so, als müsse ich unbedingt telefonieren. Und es funktionierte. Mein Kollege winkte und ging.

Tja. Jetzt weiß es also jeder. Ich bin der Coolste im ganzen Land, ohne dass ich es wusste. Woran genau es lag, dass mir diese Aussage entgegengeworfen wurde, weiß ich übrigens nicht. Vielleicht lag es ja an der Kappe, die ich mir nach der Arbeit auf den Kopf gesetzt hatte. Vielleicht ist es aber auch einfach wahr. Ich werde demnächst in der Frankfurter Innenstadt Nachforschungen anstellen und ein paar Jugendlichen diesbezüglich befragen. Etwa so: “Entschuldigt bitte, ich habe eine Frage. Mir kam kürzlich zu Ohren, dass ich für den Coolsten im ganzen Land gehalten werde und ihr seht so aus, als könntet ihr das einschätzen. Warum bin ich der Coolste? Liegt es an der Kappe? Dem Gang? Meiner Art? Was macht mich cool?” Ich freue mich auf die Gesichter der Befragten und hoffe auf detailliert Definitionen. Gleichzeitig hoffe ich aber auch auf eine Bestätigung der Aussage.

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