Animal Crossing – Pocket Camp – Für Freunde der Illusion nicht geeignet

Animal Crossing - Pocket Camp - Für Freunde der Illusion nicht geeignet

Ich bin in meinem Leben nie so oft mit Müttern irgendwelcher Tiere verglichen worden wie in »Animal Crossing: Pocket Camp«. Es passiert immer wieder. Jemand möchte eine Orange, ich wackel an einem Orangenbaum, hebe eine auf und gebe sie dem Auftraggeber oder der Auftraggeberin. Es endet mit einem Muttervergleich wegen meiner Freundlichkeit. Prinzipiell habe ich nichts dagegen, mit Müttern gleichgestellt zu werden. Vor allem, wenn dies in einem positiven Rahmen geschieht. Scheinbar haben alle in »Pocket Camp« auftauchende Wesen freundliche Muttis mit riesigen Orangenbäumen und übertragen diese Erinnerungen auf mich. Das ist nett. Doch was bedeutet der Vergleich, wenn ihn jeder ausspricht? Bin ich die Mutter aller? Die Urmutter? Die Gottmutter? Was wohl die koreanischen Gläubigen dazu zu sagen hätten, die vor ein paar Jahren vor meiner Haustür standen, nicht, um sich mit mir über Gott, sondern die Gottmutter zu unterhalten? »Guten Tag. Ob ich an die Gottmutter glaube? Selbstverständlich! Ich bin Optimist. Ich glaube an mich. Und da ich die Gottmutter bin, ist das jetzt zwar total zweideutig aber noch lange kein Grund, mir mit langen Fingernägeln koreanische Flüche ins Gesicht zu ritzen.«

Die Müttervergleiche sind bisher das Einzige, was mir von den Bewohnern in »Pocket Camp« in Erinnerung geblieben ist. Das ist schade. Die »Animal Crossing«-Reihe zählt zu meinen Lieblingsspielen. Ich habe beispielsweise »Animal Crossing: New Leaf« auf dem 3DS ein Jahr lang täglich gespielt, vermutlich nur mit wenigen Ausnahmetagen. Ich schätze die Reihe. Sie gibt mir ein Gefühl, das ich in der echten Welt nicht habe. Ein Gefühl von Heimat. Ich weiß, dass das total kitschig klingt, doch ist es so. Das Haus verlassen, durch die Nachbarschaft schlendern, sich mit den wenigen Personen unterhalten, die im gleichen Ort leben, ein bisschen Klatsch und Tratsch… all das sind Dinge, die ich in der Realität nicht kenne. Hier bleibe ich auf Distanz, knüpfe keine Kontakte und der einzige Smalltalk ist das Reden mit Hundebesitzerinnen und -besitzern, denen man leider nicht ausweichen kann, weil unsere Haustiere der Meinung sind, sich ein paar Minuten lang am Hintern riechen zu müssen.

Ich bin froh, dass mir die Hunde in »Pocket Camp« nicht andauernd hinterherrennen und versuchen, meinen Hintern zu beschnuppern. Oder? Bin ich das wirklich? Diese Tätigkeit würde ihnen immerhin ein wenig Persönlichkeit verleihen. Denke ich an »New Leaf«, erinnere ich mich vor allem an Warzi, eine Kröte, die in meiner Stadt Bommeln ihr Häuschen errichtet hatte und mir mit der Zeit ans Herz gewachsen war. Ich unterhielt mich unglaublich gern mit ihm. Hin und wieder machte er sich zwar über mich lustig und nahm mich nicht ernst, trotzdem war auf ihn immer Verlass. Ich war für ihn da, wenn er meine Hilfe benötigte, schenkte ihm Möbel, kaufte ihm welche ab und auf eine merkwürdige Art und Weise bezeichne ich uns zwei als Freunde. Er würde das öffentlich vermutlich abstreiten, aber das macht uns nur zu noch dickeren Kumpels. So wie Son Goku und Vegeta. Wow. »Dragonball«-Referenzen. Na, das kann ja heiter werden.

In »Pocket Camp« gibt es Warzi noch nicht. Nach und nach werden jedoch neue Bewohner eingebunden und das ist vermutlich der Moment, an dem ich anfangen sollte, etwas allgemeiner über das Spiel zu schreiben. Sonst weiß manch einer nicht, worum es geht.

In »Pocket Camp« beginnen wie in diesem Text zwei aufeinanderfolgende Absätze mit der Formulierung »In ›Pocket Camp‹«. Das stimmt natürlich nicht. Stattdessen erhält man als Spielerin oder Spieler den Auftrag, einen Campingplatz zu leiten. Von wem? Warum? Das ist unwichtig. Das »Warum« spielt in der »Animal Crossing«-Reihe keine Rolle, außer man möchte lustige Artikel über die Logik in Spielen schreiben. Doch sind Texte dieser Art so uncool wie die Klamotten in den »Matrix«-Filmen aus heutiger Sicht oder »Matrix«-Referenzen in Texten über Videospiele aus dem Jahr 2018. In »Pocket Camp« geht es weder um Humor noch um »Matrix«-Referenzen, sondern darum, einen Campingplatz zu gestalten. Dafür platziert man allerlei Möbel in der Gegend und findet das entweder schön oder nicht. Es spielt keine Rolle, was man wo hinstellt. Die Campingplatzbesucher reagieren auf einen vollgestellten Platz genauso wie auf einen, in dessen Zentrum lediglich ein einziges Dixiklo steht, das man nicht betreten kann, weil ein Kaktus die Tür blockiert. Das ist keine Kritik am Spiel. Es wäre ja blöd, wenn man sich eine Stunde lang am Design eines Platzes abmüht und am Ende von jedem gesagt bekommt, dass man nicht mehr dessen Mutter sei, weil diese in Sachen Innen- und Außeneinrichtung talentierter ist. »Animal Crossing« will positive Energien verbreiten. Wie die Leute auf »Astro TV«. Nur ohne Tarotkarten legen, Mondarmbänder aufladen, Energiekugeln ablecken, Sternenstaub verbrennen, Engelbilder ausmalen, Glaskugeln mit Fettfingern einfetten, Glaskugeln mit Ofenreiniger entfetten, Glaskugeln anstarren, weil man nicht weiß, was das alles überhaupt zu bedeuten hat, und Menschen, die an unglaublich unglaubwürdige Dinge glauben, während sie Ofenreinigerdämpfe inhalieren.

Hat man die Gestaltung des Campingplatzes abgeschlossen, hat man nur noch ein Ziel: sich mit Campern zu unterhalten und ihnen Wünsche zu erfüllen. Ein paar halten sich auf dem hiesigen Zeltplatz auf, andere dagegen zelten an den Orten in der nahen Umgebung. Man besucht die Camper, fragt, was sie begehren, gibt es ihnen und erhöht so die Freundschaftsleiste. Herzlich willkommen in der Welt der Videospiele für Smartphones. Einer Welt voller Leisten. Einer Welt der Triggerwarnungen für Menschen mit Leistenbruch, die nie wieder an diese schmerzvolle Erfahrung erinnert werden möchten. »Pocket Camp« macht etwas, was ich überhaupt nicht leiden und der Serie als Ganzes nicht guttun kann. Es zerstört die Illusion. Auch in »New Leaf« hat man sich mit Bewohnern unterhalten, ihnen geholfen und Dinge gebracht. Man erhielt ebenfalls Punkte, die nach und nach dafür gesorgt haben, dass die Einwohner einem wohlgesinnter waren als am Vortag. Doch hat man den Spielerinnen und Spielern die genauen Details vorenthalten und vollkommen auf Leisten und das Einblenden irgendwelcher Zahlen verzichtet. Erledige ich in »Pocket Camp« einen Auftrag, poppt ein kleines Herzchen auf, anschließend wird eine Zahl wie »+2« eingeblendet und das Herz füllt sich. Ist es voll, steigt der Freundschaftsgrad des Bewohners. Auf diese Weise ist es jederzeit ersichtlich, was einem die Erfüllung eines Auftrags gebracht hat. Dadurch wird das Anfreunden mit den Einwohnern auf das Füllen einer Leiste reduziert, was es – um es erneut zu betonen – in den anderen Spielen zwar auch war, doch wurde einem dies nicht unter die Nase gerieben. Es hatte etwas Mystisches an sich. In »Pocket Camp« rufe ich Camper zu mir auf meinen Platz, wenn ich besondere Gebäude errichte, weil ich weiß, dass dies ihren Gesamtlevel erhöhen wird. Die Besucher stellen für mich nur noch Zahlen dar, die erhöht werden sollen, keine Charaktere.

Und das ist das Schlimmste, was man der »Animal Crossing«-Reihe antun konnte. Ich habe Texte über »New Leaf« geschrieben, in denen es darum ging, dass ich mich von Bewohnern nur schwer trennen konnte, wenn sie den Entschluss gefasst hatten, mein Dorf zu verlassen. Ich fühlte mich mit ihnen verbunden. Sie waren Freunde und Bekannte. Es war mir unmöglich, Warzi gehen zu lassen. Andere schon. Aber erst, wenn sie mir ein Erinnerungsfoto von sich dagelassen hatten. Auch in »Pocket Camp« gibt es besagte Fotos. Um sie zu erhalten, muss ich Freundschaftsstufe zwanzig erreichen. Dieser Satz fühlt sich falsch an.

Vor einiger Zeit wurden neue Camper in »Pocket Camp« integriert. In der offiziellen Ankündigung hieß es, dass man allen Spielerinnen und Spielern viel Spaß dabei wünsche, ihre Persönlichkeiten kennenzulernen. Ich habe bei jedem dieser neuen Bewohner mittlerweile einen recht hohen Freundschaftsrang erreicht. Kennengelernt habe ich aber niemanden. Weil ich die Dialoge nicht lese. Weil sie sich allesamt zu ähnlich sind. Weil es zu viele Bewohner auf einem Haufen gibt.

Ein anderer Charakter aus der »Animal Crossing«-Reihe, dem ich immer wieder gerne begegne, heißt Apollo. Apollo ist ein Adler mit schlechter Laune. Er nennt mich am Liebsten Nulpe oder Flöte. Apollo ist ein bisschen wie Warzi, nur mit Lederjacke. Sowohl äußerlich als auch charakterlich. Als er auf meinem Zeltplatz auftauchte, freute ich mich darüber, ein bekanntes Gesicht zu sehen, doch wiederholten sich nach kurzer Zeit seine Dialoge und es kamen andere Besucher, die die gleichen Sprüche brachten wie er. Auch sie nannten mich Flöte. Auch sie nannten mich Nulpe. Wieder wurde eine Illusion zerstört. Die Charaktere in »Animal Crossing« reden nicht mit mir, sondern rufen lediglich vorgegebene Phrasen aus einer Phrasendatenbank ab.

In »Pocket Camp« gibt es aktuell über fünfzig Camper. Alle drei Stunden erscheinen vier zufällige auf dem Spielgelände. An einem Tag kann man also locker fünfzehn von ihnen begegnen. Damit sehe ich täglich gefühlt mehr Charaktere als während eines Monats in »New Leaf« (wenn man Reisen in andere Dörfer einmal ausblendet). Vermutlich wiederholen sich die Dialoge in »New Leaf« ebenfalls, doch fällt das nicht so auf, da man nicht jeden Tag so vielen Personen begegnet. In »Pocket Camp« wiederholt sich alles, wodurch man nicht mehr das Gefühl hat, sich mit Individuen zu unterhalten. Mittlerweile hoffe ich, dass Warzi niemals in »Pocket Camp« erscheint. Ich will nicht, dass er zu einem weiteren unpersönlichen Tropfen in einem Einheitsbrei aus sich wiederholenden, leeren Phrasen wird. Ich will seine Dialoge nicht einfach wegdrücken, damit die Freundschaftsleiste um zwei Punkte erhöht wird.

»Animal Crossing« ist das Leben in einem kleinen Dorf, umgeben von schrägen Charakteren. Man spielt es nicht, weil alle drei Stunden neue Leute auftauchen, denen man drei Wünsche erfüllen kann. Für »+2«. Man läuft herum, angelt, trifft dabei auf Nachbarn, unterhält sich mit ihnen, tauscht Möbel, sammelt Obst, sucht Fossilien, handelt mit Rüben, hockt im Café und pflanzt Blumen. All das ohne Zeitdruck. Nur selten wird es stressig, zum Beispiel, wenn man kurz vor Ladenschluss die doppelten Fossilien verkaufen möchte. Aber grundsätzlich lebt man einfach vor sich hin. In »Pocket Camp« dagegen geht es um Leisten. Ernte Obst und die Leiste des Baumes zeigt an, dass es in drei Stunden neues Obst gibt. Bau ein Möbelstück und die Leiste zeigt an, wann es fertig ist. Rede mit einem Camper und die Leiste zeigt an, wie stark du mit ihm befreundet bist. »Pocket Camp« hat keine Atmosphäre. Freundschaft verkommt zu Arbeit. Das gemütliche Leben wird durchgetaktet. Es geht um Leisten und die Leistung, die man erbringen muss, um sie zu füllen. Alles andere wird vereinfacht. An Insekten muss man sich nicht mehr heranschleichen, das übernimmt das Spiel für einen. Zum Angeln tippt man zweimal auf den Bildschirm. Die Gegend kann nicht erkundet werden, da sie in acht kleine Gebiete unterteilt ist, die nur per Auto erreichbar sind. Ja, per Auto. »Animal Crossing« stand für mich auf eine merkwürdige Art für ein Leben in und mit der Natur. Jetzt fahre ich mit meinem Auto zum Klamottenkaufen in die Stadt, heize anschließend weiter zum Fluss und drücke letztendlich die Dialoge mit Apollo am Strand weg, weil ich sie bereits dreihundert mal gelesen habe. Es gibt keine Fossilien. Es gibt kein Museum. Es gibt keine Rübenhändlerin. Es gibt kein gemütliches Café. Niemand unterhält sich mit mir über Wrestling. Stattdessen fahre ich mit dem Auto zum Bäcker gegenüber, um meinen Freundschaftsrang mit ihm zu erhöhen.

Trotzdem spiele ich »Pocket Camp« fast täglich. Das ist, was mich am meisten wundert und der Grund, für diesen Text. Warum spiele ich »Pocket Camp«? Es ist durchgetaktete Arbeit. Ihm fehlt es an Persönlichkeit. Ihm fehlt fast alles, was die »Animal Crossing«-Reihe ausmacht. Es zerstört sogar die Atmosphäre anderer »Animal Crossings«, weil es zeigt, wie sie funktionieren. Ein Spiel wie »Creatures« macht Spaß, wenn man in die Taten der Tierchen etwas reininterpretieren kann. Wenn aber jemand ankommt und erklärt, dass die eigenen Aktionen kaum Auswirkungen haben, das Verhalten von einem Zufallsgenerator gesteuert wird und all die schönen Erlebnisse lediglich eigene Interpretationen sind, bricht diese Welt zusammen. Das Spiel ist noch immer das Gleiche, aber man weiß, wie es funktioniert. Und das kann einer Welt jedweden Funken Faszination rauben. Manchmal ist Unwissenheit eben doch ein Segen.

Doch bringt mich das gerade nicht weiter. Warum spiele ich »Pocket Camp«? Ich weiß es nicht. Ich habe mir soeben die Finger wundgetippt und kann die Frage immer noch nicht beantworten. Oder doch? Bin ich süchtig danach, Leisten zu füllen? Das kann es eigentlich nicht sein, da ich dann einfach weiter »Clicker Heroes« spielen würde. Liegt es an der entspannten Atmosphäre? Möglicherweise. Meistens starte ich »Pocket Camp« kurz vorm Einschlafen. Man muss nicht denken, man muss nicht lesen, man muss nichts tun, außer hier und da auf den Bildschirm zu drücken. Doch würde ich auch hier eher zu »Clicker Heroes« tendieren.

Vielleicht ist die Antwort ja ganz einfach: Ich mag »Animal Crossing«. Ist es das? Der Grafikstil, die Figuren, die Möbel, die Welt? Ich habe die Welt von »Animal Crossing« so gern, dass ich sogar ein Spiel spiele, das niemand spielen sollte, der die Welt von »Animal Crossing« gern hat? Obwohl den Figuren jedweder Ansatz eines eigenen Charakters geraubt wird, ist es schön, sie zu sehen und sich an sie zu erinnern. Hin und wieder schaue ich durch die Charakterliste und freue mich darauf, all diesen wundervollen Wesen in einem neuen »Animal Crossing«-Teil zu begegnen. In einem »Animal Crossing«, das sie mit Respekt behandelt. Das es schafft, die Illusion wieder zu reparieren. Die Illusion, in einem kleinen Dorf voller faszinierender, unterhaltsamer und sympathischer Charaktere zu leben.

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