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Auch im zweiten Band der »Table Fables«-Reihe befinden sich unzählige Tabellen, um Menschen während Rollenspielen oder ähnlich kreativen Aktivitäten mit Ideen zu versorgen. Wie schon im Text über den ersten Band habe ich eine Geschichte geschrieben, deren Handlung aus den Tabellen entstanden ist. Erneut geht es um die Zwergin Titania. Es empfiehlt sich also, die erste Geschichte gelesen zu haben.
Titania saß im Gefängnis und wartete darauf, entweder von den Wachen freigelassen zu werden oder von ihrem Leben. Sie saß in ihrer Lieblingsecke der Gefängniszelle, die vor allem deswegen ihre Lieblingsecke war, weil dort Moos an der Wand wuchs, mit dem sie sich unterhalten konnte. Zwar wuchs auch an den anderen Wänden Moos, jedoch war dieses in der Regel schlecht drauf, weil es lieber ein Elefant geworden wäre. Titania hatte dem grummeligen Moos mehrmals erklärt, dass das Leben kein Wunschkonzert sei, jedoch hatte diese Floskel die Stimmung des Mooses nicht verbessert.
Das Moos in ihrer Lieblingsecke dagegen war etwas ruhiger und hatte sich, genau wie Titania, mit seinem Schicksal abgefunden. Manchmal spielte sie mit dem Moos Verstecken, was bedeutete, dass sie so lange stillsaß, bis das Moos über ihren ganzen Körper gewachsen war und man sie an ihrer Wand nur noch schwer erkennen konnte. Die Wachen mochten es nicht, wenn Titania Verstecken spielte.
Gerade hatte Titania ein Gespräch mit dem Moos beginnen wollen, als sich auf einmal die Wände um sie herum wabernd hin und her bewegten. Sie war sich sicher, gerade keinen Waberzauber gewirkt zu haben und beschloss, die Sache einfach hinzunehmen, schließlich hatte sie sowieso gar keine Wahl. Außerdem hoffte sie ein wenig, dass die Sache mit ihrem Leben langsam endlich enden würde.
Sie schloss die Augen, weil das Wabern dafür sorgte, dass ihr schlecht wurde. Sie wollte mit Würde abtreten, nicht mit Erbrochenem.
Als sie die Augen wieder öffnete, war sie sich nicht sicher, was sie von der Sache halten sollte. Sie lehnte nicht mehr an einer Steinwand, sondern an einem Baum. Das war gleichzeitig ungewöhnlich und nicht ungewöhnlich, schließlich sollte man nicht vergessen, dass sie in einer Welt voller Magie und vergleichbarem Zeug lebte. Ein spontaner Ortswechsel bedeutete nicht immer gleich den Eintritt ins Jenseits. Es konnte sich hierbei auch um einen gewöhnlichen Teleportationszauber handeln.
Als ein merkwürdiger Typ vor ihr stand und sie angrinste, wusste Titania, dass es sich um eine Teleportation gehandelt haben musste.
»Hallo Titania«, sagte der Typ, während er auf sie zuging. »Du befindest dich in einer anderen Zeitlinie. Ich benötige deine Hilfe. Mein Zeremoniendolch wurde gestohlen. Bring ihn mir zurück und ich schicke dich in deine Zeit zurück. Außerdem erhältst du von mir 396 Gold!«
Titania stand langsam auf. Ihre Gelenke knackten und Moos fiel von ihr herunter. Kurz schüttelte sie sich, um sich in eine Moos- und Staubwolke zu verwandeln, dann schaute sie den Typen an und stellte ihm eine Frage: »Warum nur 396 Gold? Warum nicht 400?«
Der Typ schaute sie traurig an: »Mehr habe ich gerade nicht bei mir.«
Titania nickte. »Ach so. OK. Bis gleich. Welche Richtung?«
Der Typ deutete nach rechts. »Da lang. Bis zur Straße. Irgendwann stößt du auf Leuchpilze. Denen folgst du dann. Der Dolch ist in einer kleinen Hütte. Kannst du eigentlich nicht verfehlen, wenn diese Geschichte so geschrieben wurde, dass sie sich nicht unnötig zieht.«
Titania ging los. Es dauerte nicht lange, bis sie die genannte Straße erreicht hatte.
Aufgrund ihres viel zu hohen Alters kam Titania nur sehr langsam voran. Irgendwann wurde sie von einer Gruppe humanoider Wesen überholt, die alle unglaublich edle Klamotten trugen. Als sie neben Titania herliefen, fragten sie sie, ob sie auch zur Hochzeit ging. Titania schnaubte und hoffte, dass die Leute das als »Nein« auffassten.
»Haben Sie denn nicht mitbekommen, wer heiratet?«
Titania schnaubte.
»Der König! Das ist doch die größte Sensation!«
Titania schnaubte.
»Der König heiratet einen kleinäugigen Schleckfrosch!«
Titania schnaubte.
»In dem Outfit können Sie sich aber nicht auf der Hochzeit sehenlassen.«
Titania schnaubte.
»Können wir Ihnen irgendwie helfen? Zwerge in Ihrem Alter…«
Titania verwandelte sich in ein riesiges schwarzes Pferd, trat um sich und schnaubte.
Die Gruppe gab einen Schrei von sich und ließ Titania endlich in Ruhe.
Als die Gruppe verschwunden war, verwandelte Titania sich wieder zurück in ihre gewöhnliche Form. Zwar wäre sie als Pferd deutlich schneller vorwärtsgekommen, aber wer will schon ein Pferd sein?
Zwei Stunden und unzählige Gruppen an Hochzeitsbesuchenden später sah Titania etwas am Wegesrand leuchten. Es waren kleine Pilze. Vermutlich genau die Pilze, die der Typ zuvor erwähnt hatte. Wäre ja auch irgendwie blöd, wenn es nicht die Pilze wären. Dann hätte er garantiert gesagt, dass sie nicht den erstbesten Leuchtpilzen folgen sollte. War ja ganz bestimmt nicht blöd, dieser Typ.
Sie verließ die Straße und folgte den Leuchtpilzen, die sie in relativ gerader Linie durch einen Wald führten. Viele Minuten später hörte Titania ein merkwürdiges Schmatzen. Sie wurde langsamer, wenn man das in ihrem Alter überhaupt noch werden konnte, und sah sich um.
In ein paar Metern Entfernung erkannte sie ein totes Reh, das auf dem Boden lag, weil es tot war. Da es tot war, kam das Schmatzen auch nicht vom Reh, sondern von dem gigantischen Bären, der den Leib des Tieres gerade auffraß.
Als der Bär Titania bemerkte, drehte er sich in ihre Richtung. Kurz überlegte er, ob er sich nicht einfach mit dem Rehkadaver zufriedengeben sollte, jedoch entschied er sich dagegen. Warum nicht zwei Tiere essen anstatt nur eines.
Er rannte auf Titania zu, die ihm das Signal zusandte, dies besser nicht zu tun. Aber der Bär hörte nicht auf sie. Als er nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, verwandelte sich Titania in einen Doppelbären.
Doppelbären sehen aus, als hätte man zwei Bären nebeneinander aneinandergenäht. Um sich in einen Doppelbären zu verwandeln, musste man unzählige Jahrzehnte der druidischen Magie widmen, was Titania während des ersten Zehntels ihres Lebens auch gemacht hatte. Seitdem war sie im Grunde einfach nur noch älter geworden. Und stärker.
Der Bär war viel zu überrascht ob der Verwandlung, als sich noch umentscheiden zu können. Als er dem Doppelbären gegenüberstand, hieb ihm dieser mit seinen Doppeltatzen auf die Nase, was diese in kleine Knochensplitter verwandelte, die daraufhin in das Gehirn des Bären eindrangen. Zurück blieb ein Bär mit zerstückeltem Gehirn, der seine Existenz der des Rehs anpasste und sich als Kadaver zu ihm gesellte.
Titania verwandelte sich wieder zurück in ihre Zwergenform und folgte langsam den Leuchtpilzen. Sie hatte zwar Hunger, jedoch hatte sie keine Lust auf Bärenfleisch. Die Zubereitung war ihr viel zu kompliziert. Stattdessen beugte sie sich nach unten und aß vertrocknete, von Bäumen heruntergefallene Blätter. Nicht unbedingt die beste Mahlzeit, aber immerhin recht knusprig.
In diesem Moment hörte sie ein lautes »Och nö« von der Seite erklingen. Sie wandte sich in die Richtung des »Och nö«s und sah eine Gruppe Kultisten vor sich herumstehen.
Es ist faszinierend, dass man in wirklich jeder Zeitebene ganz genau weiß, was gemeint ist, wenn man von einer Gruppe Kultisten spricht. Irgendwelche Kerle in langen Kutten mit Kapuzen auf dem Kopf standen vor Titania und sahen irgendwie enttäuscht aus.
»Warum hast du das gemacht?«, fragte einer der Kultisten.
»Er hat angefangen.«
»Das war unser Gott!«
»Wie bitte?«
»Der Bär war unser Gott! Gottbär der Bärengott! Wir haben ihn angebetet! Er hat und geführt!«
Titania schüttelte den Kopf und sagte: »War doch nur ein Bär.«
Die Kultisten sahen sie böse an. »Das ist ja unerhört!«, riefen sie. Dann zogen sie, schließlich handelte es sich hier um Kultisten, Dolche aus ihren Kuttentaschen und gingen auf Titania los.
Titania griff in eine der vielen Taschen ihres alten, zerrissenen, bemoosten Mantels und holte ein kleines Fläschchen hervor. Sie schraubte den Deckel ab und schüttelte das Fläschchen hin und her. Dadurch besprenkelte sie die Gesichter der Kultisten mit einer durchsichtigen Flüssigkeit. Als diese die Gesichter der Kultisten berührte, begannen sie zu schreien und blieben stehen.
»Was hast du uns angetan?«, schrien die Kultisten.
Die Flüssigkeit hatte Titania aus dem Moos in ihrem Gefängnis hergestellt. Eigentlich war es keine besondere Flüssigkeit. Sie brannte lediglich ein wenig auf der Haut. Um sie herzustellen, musste man nur das grummelige Moos, das viel lieber ein Elefant gewesen wäre, auspressen und diese Flüssigkeit anschließend mit Urin anreichern. Schnell gemacht, fühlte sich aber so an, als wäre man in einen Brennnesselbusch gefallen.
Während die Kultisten damit beschäftigt waren, das Brennen in ihren Gesichtern zu ignorieren, zeigte Titania auf den Boden unter ihnen und ließ dort einen riesigen Brennnesselbusch erscheinen, der den Kultisten unter die Kutten kroch und sie am Intimbereich kitzelte, was sich bei Brennnesseln schnell in etwas Anderes als Kitzeln verwandelt.
Die Kultisten fielen, ihren Intimbereich reibend, zu Boden und ließen ihre Dolche los. Titania hob einen von ihnen auf und schlitze den Männern nach und nach die Hälse auf. Nachdem sie sich ihrer entledigt hatte, ging sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dort sah sie eine kleine Hütte – offensichtlich der Versammlungsort der Kultisten.
Die Hütte war spärlich eingerichtet, was Titania egal war, da sie gar kein Interesse daran hatte, sich hier umzusehen und die Inneneinrichtung zu bewundern. In der Mitte der Hütte stand, wie es sich für ein Gebäude voller Kultisten gehört, ein Altar. Und auf diesem lag ein Dolch.
Titania musste den Dolch nur kurz ansehen, um die Macht zu spüren, die von ihm ausging. Für einen normalen Humanoiden wäre es tödlich gewesen, den Dolch zu berühren, jedoch hatte Titania sich schon mit mächtigeren Gegenständen Blattreste aus den Zahnzwischenräumen gepult. Sie nahm den Dolch in die Hand, ignorierte die Flüche, die er in ihre Gedanken projizierte und steckte ihn in eine ihrer Manteltaschen. Der Dolch jammerte ein wenig, da er noch nie jemanden getroffen hatte, der seiner Macht so einfach widerstanden hatte, jedoch zeigte Titania kein Mitleid. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen.
Sie ging zurück zur Straße, folgte dieser und kam wieder an die Stelle mit dem Typen, der sie angrinste und offensichtlich die ganze Zeit lang auf sie gewartet hatte.
»Hast du den Dolch?«, fragte er.
»Klar«, antwortete Titania und hielt fordernd ihre Hand nach vorne.
Der Typ griff in eine seiner Jackentaschen und warf Titania einen Geldsack zu. Sie steckte ihn ein, ohne nachzuzählen.
Dann zog sie den Dolch aus ihrer Tasche und warf ihn dem Mann zu. Dieser fing ihn recht ungeschickt auf und schnitt sich dabei an der Hand. Titania hörte den Dolch lachen und den Typen fluchen. Dann sah sie, wie der Typ in einer Blutfontäne explodierte und der Dolch lachend auf dem Boden landete.
Titania ging zum Dolch, hob ihn auf und schaute ihn an. »Bring mich zurück in meine Zeitlinie«, sagte sie dem Dolch und als dieser erkannte, dass er gegen diese mächtige Zwergenfrau definitiv nichts ausrichten konnte, tat er, was sie von ihm verlangte.
Titania stand, nachdem um sie herum erneut alles angefangen hatte zu wabern, wieder in ihrer Zelle. Den Dolch steckte sie zurück in die Tasche. Dann ging sie zur Zellentür und rief nach einer Wache.
Als ein junger Mann vor ihr stand, stellte sie ihm eine Frage: »Wie hoch ist noch einmal meine Kaution?«
Die Wache antwortete: »400 Gold und wir lassen dich gehen.«
Titania schüttelte den Kopf und ging zurück in die Ecke mit dem freundlichen Moos. »Ach, verdammt«, sagte sie leise. Dann setzte sie sich hin und tat nichts. Sie konnte warten. Was waren schon ein paar Jahrhunderte.
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