Wenn ihr keine Lust habt, euch diesen Text durchzulesen, werft einen Blick auf meinen youtube-Kanal. Dort findet ihr eine Video-Version dieses Textes. Durch einen Klick auf den folgenden Link, werdet ihr auf youtube weitergeleitet. ZUM VIDEO

Schreibt man einen Text über ein Buch der »1.000 Gefahren«-Reihe, liegt es nahe, den Text wie ein solches Buch zu strukturieren. Ein kurzer Absatz Texterei, zwei oder mehr Entscheidungsmöglichkeiten, weitere Textereien und am Ende hat man ein Formulierungskonstrukt mit vielen unterschiedlichen Enden und einem einigermaßen hohen Unterhaltungswert. Klingt doch eigentlich ganz gut, oder?
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Ein solches Vorhaben wäre naheliegender als der Stapel Bücher neben mir auf dem Schreibtisch, der dafür sorgt, dass ich gerade meinen rechten Arm unbequem anwinkeln muss, weil er die ganze Zeit an den Stapel stößt und dieser dadurch droht umzufallen. Und wie er mir droht. Würde Goethes »Faust« oben auf dem Stapel liegen, würde er wütend »Faust« ballen, damit herumwedeln und mir so ganz genau zeigen, was er von mir und meiner Ordnung hält.
Der Stapel liegt da übrigens nur, weil ich gestern wieder mal bei einem Bücherschrank war, mich dort bedient habe und diese Bücher noch in meine Buchtabelle eintragen muss. Bücherschränke hebeln mein Vorhaben, jedes Jahr mehr Bücher zu lesen, als zu kaufen, übrigens vollkommen aus. Zwölf! Zwölf Bücher habe ich gestern mitgenommen! Und weil man das nach einer solchen Aussage immer hinzufügen muss: Hinter mir liegen mehrere Bücher, die ich beim nächsten Besuch wieder hineinstellen werde.
Natürlich ist es fraglich, Anschaffungen aus Bücherschränken als »gekaufte Bücher« zu zählen, aber am Ende des Tages erhöhen sie die Zahl der Bücher in meiner Büchersammlung, was für die Statistik alles andere als gut ist. Wenn man sich für Statistiken interessiert. Und nach all dem Geschwafel solltet ihr nun wissen, dass ich mich für Statistiken interessiere. Vielleicht sogar ein kleines Bisschen mehr als ich sollte. Aber das ist nun wirklich meine Sache. Jeder Mensch zieht aus anderen Dingen Lebensfreude.
Kommen wir zurück zum Buch, wobei ich bisher ja noch gar nicht dort gewesen bin: Lebensfreude wird ganz allgemein gesprochen überbewertet. Genauso wie Videospiele. Und damit will ich gar nichts gegen Videospiele sagen. Also nicht mehr als gegen alle anderen Medien auf der Welt. Videospiele werden genauso überbewertet wie Filme und Bücher und all der andere Kram, den Leute nutzen, um sich unterhalten zu lassen. Oh nein, jetzt klingelt auch noch mein Telefon. Ich gehe mal eben dran.
Da das nun folgende Telefonat nie stattgefunden hat, muss ich darauf hinweisen, dass es sich hier nicht um eine wörtliche Wiedergabe des Gesagten handelt, schließlich wäre dies unmöglich.
»Hallo?«
»Guten Tag.«
»Und Sie sind?«
»Die Kunstkeule.«
»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Von einer falsch angeklickten Cookierichtlinie auf einer ominösen Internetseite, die Sie letzte Woche Mittwoch besucht haben.«
»Ich habe sofort gespürt, dass da etwas nicht in Ordnung war. Was kann ich für Sie tun, bevor ich Sie höflich abwimmel?«
»Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass Videospiele mehr sind, als ein bloßes Mittel, um sich unterhalten zu lassen. Videospiele haben Kunstanspruch.«
»Und?«
»Sie haben gerade behauptet, Videospiele wären nur dazu da, sich unterhalten zu lassen.«
»Zumindest Sie unterhalten mich gerade hervorragend.«
»Das ist nicht meine Absicht.«
»Sind Sie etwa Kunst?«
»Nein, die Kunstkeule.«
»Und Sie fühlen sich ungerecht behandelt?«
»Nein, die Videospiele.«
»Aber ich habe sie doch mit allen anderen Medien auf eine Stufe gestellt und daraufhin die ganze Stufe abgesägt und in die Tiefen eines unheimlichen Kellergewölbes abstürzen lassen, dessen einziger Bezug zur Kunst der Kunstrasen ist, der dort ausgerollt wurde, und bei dem jetzt auf einmal niemand mehr zu wissen scheint, warum das überhaupt gemacht wurde. Das ist meiner Meinung nach ziemlich fair.«
»Nicht für die Stufe.«
»Irgendwas ist ja immer.«
»Stimmen Sie zu, dass Videospiele Kunst sind?«
»Ich stelle sie künstlerisch auf die gleiche Stufe wie die abgesägte Stufe.«
»Alles kann Kunst sein.«
»Vor allem, wenn man sich dadurch erwachsen vorkommt und das Ausleben des eigenen Spieltriebs vor anderen Leuten und auch sich selbst rechtfertigen kann.«
»Ich bin nicht erwachsen. Ich bin eine Keule. Ich bin entwachsen. Und zwar einem Baum.«
»Handwerklich sind Sie sicherlich eine Augenweide.«
»Genug der Schmeicheleien. Ich wollte Sie lediglich darauf hinweisen, dass Videospiele genauso wie Literatur…«
»Darum schreibe ich hier ja gerade über beides.«
»Aber…«
»Sie sind eine ganz wunderbare Keule. Ich bedanke mich für Ihren Anruf, aber ich muss jetzt meinen Text weiterschreiben.«
»Hören Sie mir…«
»Jetzt regen Sie sich doch nicht so gekünstelt auf. Ich bitte Sie einigermaßen höflich darum, alle meine Daten aus Ihrem System zu löschen, damit ich Sie nicht mit rechtlichen Schritten langweilen muss, so wie Sie es gerade mit Ihrer Kunstdebatte tun.«
»Das ist ja…«
»… mein gutes Recht. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Rufen Sie mich bitte nie wieder an.«
An dieser Stelle hätte ich aufgelegt, wenn dieses Gespräch wirklich stattgefunden hätte. Entschuldigt die Unterbrechung.
Ich habe als Kind nie eine Spielekonsole besessen. Also so eine für den Fernseher. Ich hatte einen Gameboy und war damit zufrieden. Klar, wenn mir jemand eine Konsole geschenkt hätte, hätte ich sie selbstverständlich angenommen, aber mir fehlte als Kind das Geld, mir eine anzuschaffen, und meine Eltern hatten keine Lust, mir so ein Gerät zu schenken. Das war aber auch vollkommen in Ordnung. Meine Freunde hatten zum Glück Konsolen, weshalb ich die Konsolen, äh, nein, die Freunde immer wieder besuchte. Vielleicht war das der Plan meiner Eltern gewesen: »Schenk dem bloß keine Konsole, dann besucht der nie wieder andere Menschen.«
Obwohl ich mich über eine Konsole gefreut hätte, hätte ich nicht alles getan, um an eine zu kommen. Beispielsweise hätte ich nicht für den in einem heruntergekommenen Videospieleladen arbeitenden Kerl einen merkwürdigen Koffer zu einem mindestens genauso merkwürdigen Kerl transportiert. Ich hätte schon damals gewusst, dass eine solche Angelegenheit nicht gut enden und mir nichts als Stress einbringen wird. Ich wäre auch nicht in irgendein Auto eingestiegen, nur um mir daraufhin eine Straßenschlacht mit anderen Videospielenden zu liefern, bei der wir mit echter Munition aufeinander schießen und uns in die Luft sprengen. Gut, ich habe selbstverständlich nichts dagegen, »Gamer« in die Luft zu sprengen, aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hinauswill.
Der Punkt ist: Ich war schon immer extrem langweilig und faul und wäre nur für eine Videospielkonsole nicht über meinen eigenen Schatten gesprungen. Stattdessen war ich gerade in der Küche und habe mir vier saure Gurken aus dem sauren saure-Gurken-Gurkenwasser im saure-Gurken-Gurkenglas gefischt, um währenddessen darüber nachzudenken, wie ich diesen Text zu einem vernünftigen Ende bringen kann. Denn ganz ehrlich: Was soll man bitte über ein Spielbuch oder Choose-your-own-adventure-Buch oder Abenteuerbuch oder Wie-auch-immer-ihr-es-nun-nennen-möchtet-Buch schreiben?
Aber stellen wir uns nicht so an. Es gibt schließlich schlimmere Bücher, über die ich schreiben könnte. Ich bin gespannt, was ich mir einfallen lasse, wenn ich einen Text über das Buch »Die deutschen Banknoten ab 1871« verfassen muss. Also stellen wir unser gemeinsames Gejammer endlich ein und ziehen es durch. In »Konsole der 1.000 Gefahren« passiert immerhin etwas.
Das Buch ist wie ein Videospiel, in dem man Entscheidungen trifft, mit denen man entweder leben oder wegen dieser sterben muss. Es hat über vierzig Enden. Das weiß ich, weil ich eine Komplettlösung angefertigt habe, um am Ende sicher zu sein, jede Entscheidung und jedes Resultat gelesen zu haben.

Ich mag die »1.000 Gefahren«-Bücher gerade wegen dieser Vielfalt. Die Geschichte kann jederzeit enden, es gibt viele Richtungen, in die man sich bewegen kann und am Ende schaut man immer auf das Wort »ENDE« und kann darüber nachdenken, einen neuen Weg einzuschlagen. Wäre das Buch ein Videospiel, würde man es als »Visual Novel« bezeichnen und den Kunstbegriff neu definieren, als Buch ist es dem Videospiel in dieser Hinsicht zum Glück überlegen, da es aus Papier besteht und sich nicht nur besser, sondern sich einfach überhaupt irgendwie anfühlt.
Die Geschichte an sich ist übrigens kompletter Unsinn, egal, wofür man sich entscheidet, was es zu einem guten Buch macht. Man kann sogar den einzig logischen Weg gehen und sich einfach aus allem raushalten, was dafür sorgt, dass das Buch nach wenigen Seiten endet. Aber um ehrlich zu sein war genau das der Weg, den ich als Kind eingeschlagen hätte.
Ich weiß nicht, ob der Autor schon einmal ein Videospiel gespielt hat, denn häufig liest sich das Ganze wie die Vorstellung eines Menschen, der keine Ahnung von Videospielen hat, sich aber ausmalt, wie es wäre, »in die virtuelle Welt abzutauen und den Cyberspace unsicher zu machen«. Wie in diesen Filmen mit der »virtuellen Welt in der ja alles so echt ist«. Na ja. Kein Grund zur Aufregung. Nicht noch ein Unterhaltungsmedium in diesen Text zerren. Man darf nicht vergessen, was dieses Buch sein will.
Die »1.000 Gefahren«-Bücher sind nicht darauf ausgelegt, sie nur einmal bis zu einem bestimmten Ende zu spielen und dann nicht mehr anzufassen. Es geht um die vielen Möglichkeiten, eine Geschichte zu einem Ende kommen zu lassen. Und es macht mir immer sehr viel Spaß, alle Wege zu erforschen. Und damit möchte ich diesen Text endlich mal zu einem einzigen Ende kommen lassen, denn stellt euch jetzt mal vor, dieser Text hätte mehrere Enden und ihr müsstet bestimmte Stellen noch einmal lesen. Das will nun wirklich niemand.
Schreibe einen Kommentar