Literatur ist ganz in Ordnung

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Wenn ihr keine Lust habt, euch diesen Text durchzulesen, werft einen Blick auf meinen youtube-Kanal. Dort findet ihr eine Video-Version dieses Textes. Durch einen Klick auf den folgenden Link, werdet ihr auf youtube weitergeleitet. ZUM VIDEO

Heute vor einem Jahr erreichte ich endlich das Alter eines Vierzigjährigen. Als ich an diesem überaus sonnigen Tag auf einer Wiese lag und das Leben genoss, erhielt ich auf einmal eine Vision, die mein Leben verändern sollte. Eine höhere Macht war in mein linkes Ohr eingedrungen und hatte mir etwas zugeflüstert. Mein Ohrenarzt zog mir drei Tage später zwar einen Grashüpfer aus dem Ohr und erklärte mir, dass alles, was ich gehört hatte, der verzweifelte Todeskampf des Tieres gegen meinen Gehörgang gewesen war, jedoch sah ich die Sache anders. Es war eine Vision. Und man hatte mir etwas mitgeteilt. Die Botschaft lautete:

Literatur ist ganz in Ordnung.

Seit vielen, vielen Jahren lese ich genauso gerne wie unregelmäßig. Es gibt Phasen, in denen ich innerhalb eines Monats 38 Bücher mit jeweils 1.000 Seiten lese und währenddessen den Blick für die Realität verliere und Menschen erzähle, dass ich 38 Bücher mit jeweils 1.000 Seiten im Monat lese. Es gibt aber auch Phasen, in denen ich monatelang kein einziges Buch aufschlage und lieber regelmäßig, um nur ein Beispiel zu nennen, veganes Hackfleisch zubereite.

Ich kaufe mir gerne diese eingeschweißten veganen Hackblöcke und schmeiße sie direkt aus der Packung in die Pfanne. Dann zersteche ich den Klumpen mit einem Pfannenwender in kleine Würfel und bezeichne das Ganze nach Fertigstellung als »Essen«. Dieses Essen sowie meine Unregelmäßigkeit beim Lesen sind genauso wie Literatur: ganz in Ordnung.

Gleichzeitig ist Lesen aber auch meine Lieblingsbeschäftigung. Natürlich sind Musik, Filme, Videospiele und Hackfleischbrockenzerstechen ebenfalls ganz in Ordnung, jedoch steht Lesen eine Stufe über allem.

Warum? Weil ich mir gerne selber Fragen stelle und das in der Literatur so gut funktioniert? Möglich. Es liegt schon einmal nicht daran, dass man in der Literatur in fremde Welten und Charaktere eintaucht, da ich das genauso bei den oben genannten alternativen Freizeitbeschäftigungen machen kann. Irgendwann schreibe ich mal ein Buch über den Hackfleischmann. Es gibt jedenfalls auf der Welt so viele Filme, in denen tauchende Menschen von tauchenden Haien angegriffen werden und daraufhin nie wieder auftauchen, dass ich vollkommen die Lust daran verloren habe, irgendwo einzutauchen. Nein, Eintauchen taugt nichts.

In Wirklichkeit sind es die Worte. Ja, ich mag Worte. Und die Literatur ist voll davon. Manchmal vielleicht sogar ein bisschen zu voll, wenn ich mir ansehe, wie dick und schwer das eine oder andere Buch in meiner kleinen Bibliothek sein kann. Aber das macht ja nichts. Sollte jemals ein böser Mensch mit einer Machete in mein Haus gerannt kommen, um mich auszurauben, abzustechen oder in Hackfleischwürfel zu zerteilen, kann ich in meine Bibliothek sprinten und mit Tolstoi um mich werfen. Ich habe meinen kleinen Zeh verloren, als mir beim Regaleputzen »Anna Karenina« auf denselben fiel. Selbstverständlich ist das eine Lüge, aber letztendlich ist Literatur auch nichts anderes.

Ich finde also Worte ganz gut. Man kann sie lesen, mit ihnen spielen, sie vertauschen, verwechseln, aneinanderreihen und sich sogar über sie aufregen. Es macht mir Freude, mich mit ihnen zu beschäftigen. Gleichzeitig macht es mir Freude, anderen dabei zuzusehen, wie sie selbst mit Worten spielen. Und genau das ist Literatur. Es gibt Menschen, die gut mit Worten hantieren können, es gibt Menschen, die nicht gut mit Worten hantieren können, und natürlich gibt es noch einen ganzen Haufen Menschen, der irgendwo dazwischen liegt. Ich mag sie alle. Ich mag es, sie zu lesen. Ich mag es, zu lesen.

Und trotzdem habe ich es in meinem bisherigen Leben so unregelmäßig gemacht, dass es mir manchmal ein wenig unangenehm war, so viele Bücher in meiner Bibliothek herumstehen zu haben.

Selbstverständlich gibt es daran nichts, was einem unangenehm sein muss. Man kann viel von etwas besitzen, ohne sich andauernd damit beschäftigen zu müssen. Aber irgendwie hat es mich gestört. Warum beschäftigt man sich nicht mit etwas, was man eigentlich gerne macht?

Manchmal war mir Lesen zu anstrengend, zu langatmig. Ich hatte nicht die Nerven dafür, mich zu beruhigen und irgendwo hinzusetzen. Außerdem sind Buchstaben auf Papier schon echt langweilig anzusehen. Heutzutage kann man sich auf Videoplattformen mit sekundenlangen Videos stundenlang ablenken lassen. Das bringt einen im Leben zwar überhaupt nicht weiter und verschwendet einfach nur Lebenszeit, aber wenigstens lenkt es einen davon ab, dass man Lebenszeit verschwendet. Die Realität ist ein paar Schritte zurückgetreten, während man in einem kurzen Kochvideo irgendeinem Typen dabei zusieht, wie er einen Hackfleischblock in eine Pfanne schmeißt und diesen daraufhin mit der gebundenen Ausgabe von »Anna Karenina« zu einem Hackfleischpfannkuchen zerstampft.

In meiner Bibliothek bekommt man von all diesen Dingen nichts mit. Hier herrscht Stille. Hier sitze ich in einem grünen Sessel, der aussieht wie eine Hand, lege die Füße auf die oberste Stufe einer metallenen, zweistufigen Küchenleiter und lese. Eigentlich ist das schön. Aber gleichzeitig muss ich mich dazu überwinden, den Bildern und Geräuschen den Rücken zu kehren, denen es so leicht fällt, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Nach meiner Vision stand ich also in meiner Bibliothek und dachte: „Literatur ist ganz in Ordnung. Warum also nicht endlich wieder mehr lesen?“ Ich bin kein Freund großer Vorsätze. Und vor allem bin ich kein Freund davon, zu sagen: „Ab dann und dann wird alles anders.“ Aber irgendwie hielt ich den vierzigsten Geburtstag für einen schönen Moment, um einmal über den eigenen Schatten zu springen. Wie der Grashüpfer, der ebenfalls alle in ihm aufschreienden Zweifel überwand und sich daraufhin in meinem Gehörgang wand. Und seht, was aus ihm geworden ist. Er wurde zu einer Geschichte, die mein Ohrenarzt von nun an jedem erzählen kann, der zu ihm kommt, weil er das Gefühl hat, ihm würde etwas das Ohr blockieren.

Ich beschloss, ab heute jeden Tag zu lesen. Egal wie viele Seiten, egal welches Buch. Einfach nur lesen. Und das jeden Tag.

Sehe ich auf die Liste der Bücher in meiner Bibliothek, besitze ich aktuell über 2.250 Bücher. Gehen wir davon aus, dass ich achtzig Jahre alt werde, bleiben mir noch vierzig Jahre für 2.250 Bücher. Das sind über 55 Bücher pro Jahr, freundlich gerechnet also etwa ein Buch pro Woche für den Rest meines Lebens.

Das funktioniert aber selbstverständlich nur, wenn wir annehmen, dass ich mir keine weiteren Bücher mehr zulege. Da ich mir selbstverständlich immer und immer wieder neue Werke in meine Bibliothek stellen werde, können wir davon ausgehen, dass es mir nicht gelingen wird, während meines restlichen Lebens alle Bücher in den Regalen bei mir zu Hause zu lesen.

Das klingt jetzt irgendwie traurig. Ist es aber nicht. Ich mache mir deswegen keine Sorgen, habe keine Angst vor dem Tod, werde nicht panisch und so weiter. Eigentlich sehe ich die Sache realistisch und entspannt. Man kann nie alles lesen, sehen, hören, was man will. Viel eher ist es schön, dass sich in diesem einen Raum genug Zeug befindet, um mich für den Rest meines Lebens zu unterhalten. Und was ich am Ende nicht gelesen habe, habe ich am Ende eben nicht gelesen. Der Tod ist das Ende. Da werde ich nichts mehr vermissen. Das ist ja das Schöne daran.

Das Vorhaben war jedenfalls ausformuliert. Und wie lief es? Seit einem Jahr bin ich vierzig. Heute wurde ich einundvierzig. Und seit einem Jahr habe ich jeden Tag gelesen.

Das Ganze hat sich schon nach wenigen Tagen zu einer Regelmäßigkeit entwickelt, die mir viel Freude bereitet. Wie gesagt: Ich habe schon immer gerne und viel gelesen. Ich bin Schriftsteller. Ich habe Germanistik studiert. Literatur war stets ein wichtiger Teil meines Lebens. Aber es fehlte einfach die Regelmäßigkeit. Und zu dieser habe ich mich jetzt seit einem Jahr gezwungen und aktuell genieße ich es, all die Worte um mich zu haben und so viel Freude aus ihnen zu ziehen, wie lange nicht mehr.

Und jetzt, nach einem Jahr, dachte ich, dass ich meine Freude doch auch selber mal zu Papier bringen könnte. Wenn auch in digitaler Form.

Ich möchte über Literatur schreiben. Ich möchte über jedes Buch schreiben, das ich seit meinem vierzigsten Geburtstag gelesen habe. Ich möchte über meine Bücherliste schreiben. Ich möchte über meine Bibliothek schreiben. Über Statistiken, meine Lesezeichen und vieles mehr. Aber vor allem möchte ich Worte über Worte verlieren, weil ich Worte so mag.

Ich weiß nicht, ob meine Texte über Bücher Rezensionen sind. Eigentlich sind es eher Gedanken. Wenn ich ein Buch lese, denke ich nicht an Jahreszahlen, Orte oder Namen. Ich vergesse sehr schnell, wann oder wo eine Geschichte spielt. Dinge dieser Art interessieren mich weder in der Realität noch in der Literatur. Mich interessiert, worüber ich nachdenke, während ich lese. Oder danach. Und über diese Gedanken möchte ich schreiben. Denn jedes Buch, egal wie sehr es mir nun gefallen hat oder nicht, hat irgendeinen Gedanken in mir hervorgerufen.

Meine Texte können hin und wieder recht chaotisch werden, was mir auf der einen Seite natürlich leidtut, auf der anderen aber auch nicht. Es sind eben meine Texte über meine Gedanken. Und letztendlich ist Literatur ja vor allem eines, nämlich chaotisch. Genau wie die Menschen, die sie produzieren, und die Welt um sie herum.

Wenn alles funktioniert, werde ich die Texte nach Fertigstellung auch in Videoform hochladen, damit auch alle, die nicht gerne lesen, etwas von meiner Reise durch die Welt der Literatur mitbekommen können. Dies ist aber erst einmal nur ein Test und vielleicht gebe ich das Ganze irgendwann wieder auf. Ihr wisst ja, wie das ist mit dem Hackfleisch ist, das man an die Wand schmeißt, bis irgendwann Nudeln draus werden.

Ich weiß noch nicht, wie regelmäßig diese Texte erscheinen, aktuell habe ich natürlich noch viel nachzuholen, aber auch das ist nicht schlimm. Eigentlich ist gar nichts schlimm. Schließlich geht es hier um Literatur, und die ist nicht schlimm, sondern ganz in Ordnung.

Mehr bleibt mir an dieser Stelle nicht zu sagen. Ich möchte euch auf meine Reise durch die Welt der Literatur mitnehmen und hoffe, dass ihr am Ende genauso denkt wie ich:

Literatur ist ganz in Ordnung.

Und sollte mir das gelingen, bin ich zufrieden.

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