Ich gelobe Besserung beim Umgang mit kleinen Wolken

Vor einiger Zeit fasste ich den Entschluss, eine Internetseite zu eröffnen, um auf dieser über Videospiele zu schreiben. Warum ich mich von spa-zone.de entfernte, erklärte ich in meinem letzten hier veröffentlichen Text, und soll nicht weiter Thema dieses Beitrags sein. Ich erstellte die Seite dialogoption.de und veröffentlichte dort meinen ersten Text. Es ging um das Handyspiel »Animal Crossing: Pocket Camp«. Ich mochte den Text. Sehr sogar. Und war damit nicht alleine. Ich erntete Lob in den Kommentaren und wurde sogar lobend auf einer anderen Internetseite erwähnt. Dieses Lob war der Grund dafür, warum dialogoption.de schon nach einem einzigen Text dem Untergang geweiht war.

Ich kann nicht mit Lob umgehen. Lob macht mich nervös. Lob erzeugt Druck. Lob spiegelt für mich Erwartungen wider, die ich niemals erfüllen kann. Lob erzeugt Angst davor, jemanden zu enttäuschen. Wer mich lobt, tut mir keinen Gefallen. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle schnell erwähnen, dass ich daran arbeite, dass das besser wird. Bevor jetzt alle, die das Lesen schon nach zwei Absätzen einstellen, mich nie wieder loben möchten. Aber gut ist mein Verhältnis zum Lob immer noch nicht.

Als mich das Lob für meinen oben beschriebenen Text erreichte, wurde ich sofort nervös. Der Gedankengang läuft in diesen Momenten in etwa folgendermaßen ab (Achtung, es wird chaotisch): Jemand hat mich für meinen Text gelobt. Das bedeutet, dass diese Personen erwarten, dass auch meine nächsten Texte gut werden. Oder sogar besser. Was ist, wenn ich diesem Anspruch nicht gerecht werde? Wenn mein nächster Text nicht gut ist, werde ich alle, die ihn in freudiger Erwartung aufrufen, weil ja der letzte so gut war, enttäuschen. Diese Leute werden nie wieder meine Internetseite besuchen und ich kann sie dicht machen. Außerdem werden sich die Leute, die meinen ersten Text gelobt haben, nun fragen, ob das eine so gute Idee gewesen ist. »Von dem kommt doch nichts Gutes mehr. Vielleicht wäre es gut, den Link zu seinem ersten Text von unserer Seite zu nehmen. Wer weiß, wo der noch mal eines Tages enden wird.« Ich habe mich lächerlich gemacht. Mein erster Text war ein Glückstreffer, den ich nicht wiederholen kann. Ich bin kein guter Autor. Ich kann nicht gut schreiben. Hin und wieder gelingt mir mal was, aber nie auf lange Sicht. Ich werde die entstandenen Erwartungen niemals erfüllen können. Ich möchte niemanden enttäuschen. Ich sollte es bleiben lassen. Am besten alles. Für immer. Der Text war eine schlechte Idee. Die ganze Seite war eine schlechte Idee. Hätte ich doch niemals mit dem Schreiben begonnen.

Diese Angst und diese Gedanken lähmten mich etwa einen Monat lang. Der Artikel über »Animal Crossing: Pocket Camp« blieb in dieser Zeit der einzige Text auf meiner Seite, weil mich der Druck, etwas mindestens genauso Gutes abliefern zu müssen, nicht mehr schreiben ließ. Als ich mich dann zusammenriss und einen Text über »Euro Truck Simulator 2« schrieb, war ich nach der Veröffentlichung nervös. War es ein guter Text? Abwarten. Niemand kommentierte. Niemand schrieb mich deswegen an. Niemand interessierte sich für den Artikel. Niemand lobte mich. Ich hatte wieder einmal versagt. Ich konnte die Seite somit schließen. Am besten so schnell wie möglich, damit niemand von meinem Versagen Wind bekommen würde.

Lob ist schlecht. Lob erzeugt Druck. In Lob steckt nichts Gutes. Ich möchte kein Lob erhalten.

Einmal wurde ich auf der Arbeit gelobt. Der Chef nahm mich zur Seite und teilte mir mit, dass er mit meiner Leistung zufrieden war. Ich sei zuverlässig. Als ich nach Feierabend nach Hause kam, musste ich mich erst einmal hinsetzen und beruhigen. Verdammt. Ich bin gelobt worden. Was das bedeutete, war klar: Ich durfte mir keine Fehler mehr erlauben. Würde ich morgen einen Fehler machen, wäre der Chef maßlos enttäuscht von mir. Er hatte mich gelobt und ich würde jetzt denken, ich könne mir von nun an alles erlauben. Nein, ich wollte ihn nicht enttäuschen. Also strengte ich mich noch mehr an. Ich durfte nicht schlechter werden. Ich durfte keine Fehler mehr machen. Über mir schwebte eine dunkle Gewitterwolke. Das Lob war aufgeblitzt. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der donnernde Fehler erklingen würde. Natürlich würde ich irgendwann mal einen Fehler machen. Es ließ sich nicht mehr verhindern. Und dann wäre mein Vorgesetzter enttäuscht von mir. Er würde sich sagen: »Ach, hätte ich ihn doch nicht gelobt. Ich habe mich offensichtlich in ihm getäuscht.« Das wollte ich nicht. Niemals. Ich musste mich anstrengen. Immer und immer mehr. Würde ich den Fehler kurz nach dem Lob machen, dachte der Chef sicherlich, ich würde mich jetzt gehen lassen. Würde der Fehler später passieren, würde der Chef daran denken, wie zuverlässig ich früher doch mal gewesen bin und wie schade es ist, dass ich mich zu einer solchen Enttäuschung entwickelt hatte.

Ich bin in jedem Job, den ich bisher ausgeübt habe, irgendwann einmal gelobt worden. Das darf jetzt jeder lesen, wie er möchte. Als Eigenlob. Eingebildetes Gerede. Und so weiter. Wie auch immer. Es ist halt so. Und dieses Lob hat mich jedes Mal fast aus der Bahn geworfen. Meine Frau kann das beispielsweise nicht nachvollziehen. Ich komme nach Hause und erzähle ihr von dem Lob. Ihre Reaktion: »Das ist doch toll!« Meine Reaktion: »Nein, ist es nicht. Wie soll ich denn jetzt mit dem neuen Druck umgehen? Ich will doch niemanden enttäuschen.«

Lob ist schlecht. Lob erzeugt Druck. In Lob steckt nichts Gutes. Ich möchte kein Lob erhalten.

Auf dieser Seite gab es, bevor ich alles offline genommen hatte, eine Rubrik über schlechte »LEGO«-Imitate. Für diese Texte habe ich im Freundeskreis viel Lob kassiert. So viel, dass ich sie nicht mehr fortsetzen konnte, weil ich Angst hatte, einen schlechten Text abzuliefern und damit die ganze Rubrik zu versauen. Ich wurde gelobt. Der dadurch entstandene Druck machte alles kaputt.

Lob ist schlecht. Lob erzeugt Druck. In Lob steckt nichts Gutes. Ich möchte kein Lob erhalten.

In Therapie lernt man, mit Lob umzugehen. Man lernt langsam, dass Lob nicht schlecht ist. Dass es einen eigentlich motivieren sollte. Wenn man selber jemanden lobt, will man dann Druck aufbauen oder jemandem etwas Gutes tun? Das ist eine ganz einfache Frage, die fast jeder damit beantwortet, dass man dem Gegenüber etwas Gutes tun will. Das ist bei mir auch der Fall. Sage ich jemandem, dass mir etwas von ihm gefällt, will ich ihn motivieren, weiter zu machen. Mein Lob soll motivieren. Aber das Lob anderer? In meine Richtung geäußert? Druck. Chaos. Nervosität. Zwänge. Angst. Stillstand.

Es ist paradox. Es ergibt keinen Sinn. Vor allem, wenn man es selber aufschreibt. Wenn man den Widerspruch in seinem Innern erkennt und sogar ausformulieren kann. Aber es ist trotzdem so. Und es macht den Umgang mit Depressionen nicht leichter. Depressionen erzählen einem immer und immer wieder, dass man schlecht in allem ist. Punkt. »Du kannst nichts.« Was ist das perfekte Gegenmittel gegen eine solche Stimme? Richtig: das Lob anderer Leute. »Du kannst doch etwas! Und zwar richtig gut!« Man redet es sich nicht selbst ein, sondern bekommt es stattdessen von anderen gesagt. Das ist doch super, oder? Oder? Nein. Diese verdammten Depressionen sind leider so verdammt clever. Sie wissen ganz genau, wie sie mit Lob umzugehen haben, damit es sie nicht schwächt.

Lob ist schlecht. Lob erzeugt Druck. In Lob steckt nichts Gutes. Du möchtest kein Lob erhalten.

Na gut! Dann nehme ich das Lob eben an! Jemand hat gesagt, mein Text sei toll? Dann schreibe ich eben noch einen. Und noch einen. Und noch einen. Dann ziehe ich eben Motivation aus dem Lob. Ich bin gut. Ich kann etwas. Ich bin ein guter… was? Wie bitte? Mir ist das Lob zu Kopf gestiegen? Oh. Mist. Na gut. Ihr habt ja Recht.

Lob ist schlecht. Lob erzeugt Druck. In Lob steckt nichts Gutes. Ich möchte kein Lob erhalten.

Ich wünschte, niemand würde meine Texte kommentieren. Dann würde dieser Druck nicht entstehen. Wenn niemand meine Texte kommentiert, mag sie auch niemand. Ich wünschte, jemand würde meine Texte kommentieren. Ich möchte Rückmeldungen bekommen. Hoffentlich bekomme ich keine Rückmeldungen.

Dieser Druck sorgte vor ein paar Jahren dafür, dass ich die Kommentarfunktion auf dieser Internetseite deaktivierte. Wenn keiner kommentieren kann, wird auch kein Druck mehr auf mich ausgeübt. Und wenn ich die Kommentarfunktion deaktiviere, lief ich auch nicht Gefahr, mich über fehlende Kommentare aufzuregen. Es KONNTE ja niemand kommentieren. Vielleicht WOLLTEN gerade einhundert Leute kommentieren. Aber sie konnten es nicht. Kein Druck durch fehlendes Lob. Kein Druck durch auftauchendes Lob. Kein Lob, kein Druck. Zufriedenheit.

Selbstverständlich war ich nicht zufrieden. Wofür mache ich den ganzen Quatsch auf dieser Seite denn? Klar. Für mich. Das stimmt tatsächlich. Ich stelle hier nur Zeug online, mit dem ich etwas anfangen und mit dem ich mich identifizieren kann. Außerdem soll das Erstellen der Inhalte dieser Seite mich unterhalten. Das ist immer der erste Schritt. Langweile ich mich, wenn ich einen Text, Artikel oder was auch immer schreibe, fange ich von vorne an oder streiche die Idee. Als Erstes möchte ich selbst zufrieden mit dem Zeug sein, das ich erschaffe. Direkt dahinter steht die plumpe Aussage, dass es mir unglaublich viel bedeutet, andere Leute zu unterhalten. Jetzt aber zu behaupten, dass mir die Rückmeldungen Anderer egal seien, wäre eine Lüge. Ich möchte Rückmeldungen. Ich freue mich über Rückmeldungen. Verdammt noch mal, ich freue mich sogar über Lob. Zumindest für kurze Zeit. Ein paar Sekunden. Bis sich die Depressionen wieder einschalten und mich deswegen fertigmachen. Und diese blöde Wolke über meinem Schädel platzieren. Dann will ich auf einmal keine Rückmeldungen mehr. Weil sie mich fertig machen. Ja, die Depressionen schaffen es genauso schnell, sich aus dieser Kette auszuklinken, wie sie gekommen sind. Aus »Lob → Depressionen → Stress« wird »Lob → Stress«. Geschickt, diese verdammten Depressionen.

Und um DAS zu bemerken, war ich so lange in Therapie. Man ist nicht aufmerksamkeitsgeil, wenn man Rückmeldungen zu seinen Texten haben möchte. Einem ist Lob nicht zu Kopf gestiegen, wenn man sich darüber freut. Ich stelle meine Texte der Öffentlichkeit zur Verfügung, weil ich Rückmeldungen haben möchte. Weil ich mich über Rückmeldungen freue. Es ist überhaupt nicht schlimm, sich das einzugestehen. Oder anderen gegenüber auszusprechen. Sonst könnte ich die Texte auch einfach als Textdateien auf meiner Festplatte speichern und für mich behalten. Aber genau das tue ich nicht. Ich stelle sie online. So, dass jeder sie lesen kann, sie kommentieren kann. Und wenn die Rückmeldungen mal ausbleiben, sagt das nicht unbedingt etwas über die Qualität der Texte aus. Wann habe ich zuletzt mal einen Text kommentiert, der mir gefallen hat? Das muss Jahre her sein. Und ich bin in dieser Hinsicht sicherlich keine Ausnahme.

Ich lerne gerade, mit Lob umzugehen. Lob soll keinen Druck mehr in mir auslösen, sondern mich motivieren. Lob soll mir zeigen, dass meine Depressionen Unrecht haben, dass sie lügen, dass sie mir nichts Gutes tun wollen. Man kann Lob tatsächlich einfach nur annehmen. Sich darüber freuen. Sich dafür bedanken. Lob ist etwas Tolles. Lob ist einer der Gründe, warum ich Schriftsteller geworden bin. Lob kann einem den Druck nehmen, weil es einem zeigt, dass die Arbeit, die man in einen Text gesteckt hat, nicht umsonst war. Es kann einen dadurch zum Weitermachen motivieren. »Du hast viel Arbeit in deine letzte Veröffentlichung gesteckt und dafür viel Lob bekommen. Das ist richtig schön. Nimm diese Freude und erschaffe etwas Neues. Denn du kannst es.«

Es fällt mir immer noch sehr schwer, Lob anzunehmen. Aber ich arbeite daran. Immer und immer wieder. Und es wird besser. Langsam. Aber es wird besser.

Lob ist toll. Lob nimmt Druck. In Lob steckt viel Gutes. Ich möchte Lob erhalten.

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